Wirtschaftspolitische Baustellen

Datum 16.01.2017 23:58 | Thema: Wirtschaftspolitik

Wirtschaftspolitische Baustellen

Was die Wirtschafts- und Finanzpolitik der Bundesregierung leisten muss, steht im „Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft (StabWG)“ geschrieben. Danach  haben die staatlichen Organe ihre wirtschafts- und finanzpolitischen Maßnahmen so zu treffen, dass sie gleichzeitig zur Stabilität des Preisniveaus, zu einen hohen Beschäftigungsstand und außerwirtschaftlichem Gleichgewicht bei stetigen und angemessenem Wirtschaftswachstum beitragen („magisches Viereck“). Die Bundesregierung muss hierbei sowohl die kurzfristige konjunkturelle Lage als auch die mittelfristige Entwicklung der Produktivkräfte im Auge haben. Zusätzlich gelten für die Bundesregierung die europarechtlichen Grenzen für die Gestaltung der Haushaltspolitik. 

Nimmt man die aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamtes für die maßgeblichen Indikatoren (Inflationsrate, Beschäftigung, Außenhandel und  Wachstum), befindet sich die Wirtschafts- und Finanzpolitik der Bundesregierung in der Nähe des Zielkorridors. Dies gilt aber nur bei kurzfristiger Betrachtung. Berücksichtigt man dagegen auch die längerfristigen Wirkungen der derzeitigen Politik, kommt man schnell zu einem anderen Ergebnis. Die Wirtschafts- und Finanzpolitik  der Bundesregierung ist mit vielen  Risiken und negativen Folgen verbunden, so dass die im magischen Viereck vorgegebenen Ziele deutlich verfehlt werden.


Stabilität des Preisniveaus:

Beginnen wir mit dem Ziel, die Preise stabil zu halten. Die Verbraucherpreise in Deutschland und dem Euro-Raum sind zwar in den letzten fünf Jahren von über 2,0 Prozent auf 0,0 Prozent gefallen. Zum Jahresende 2016 ist  die Inflationsrate in Deutschland aber überraschend auf 1,7 Prozent und im Euro-Raum auf 1,1 Prozent gesprungen. Ein wesentlicher Grund dafür war die Entwicklung des Ölpreises, nachdem sich die Opec-Länder auf eine gedrosselte Ölförderung verständigten.

Neben dem Öl sind auch andere Preise gestiegen. Für Nahrungsmittel mussten Verbraucher in Deutschland  im Dezember 2,5 Prozent mehr bezahlen. Dienstleistungen verteuerten sich um 1,5 Prozent. Die Mieten stiegen im Durchschnitt ebenfalls um 1,5 Prozent, in attraktiven Städten im Schnitt der letzen fünf Jahre um 4,0 Prozent. Das Ziel stabiler Preise gerät damit deutlich in Gefahr.

Die ultra-lockere Geldpolitik der EZB ist für das wachsende Preisrisiko nicht unschuldig. Die dadurch verursachte Abwertung des Euro hat zur Folge, dass Importgüter teurer werden. Außerdem treibt die Menge des billigen Geldes die Vermögenspreise, insbesondere für Immobilien, was die Mieten steigen lässt. Auch steigende Rohstoffpreise wirken indirekt auf die Inflationsrate. 

Hoher Beschäftigungsstand:

Nach den jüngsten Arbeitsmarktdaten befindet sich der deutsche Arbeitsmarkt in guter Verfassung. Die Arbeitslosenquote 2016 belief sich nur noch auf 4,3 Prozent. Vor allem zwei Zahlen stechen heraus: die der Erwerbstätigen und die der offenen Stellen. Insgesamt 43,5 Millionen Menschen standen Mitte 2016 in Lohn und Brot. Die Euro-Krise von 2009 hat auf dem deutschen Arbeitsmarkt keine nachhaltigen Spuren hinterlassen. Seit dieser Krise sind insgesamt 2,6 Millionen neue Jobs entstanden. Gleichzeitig ist die Zahl der offenen Stellen auf einen neuen Rekord gestiegen. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit (BA) waren im Mai 2016 insgesamt 655.000 offenen Stellen gemeldet.
 
Die Lage auf dem deutschen Arbeitsmarktes steht in scharfem Kontrast zur Beschäftigungslage in vielen anderen Euro-Ländern. Dies gilt für Griechenland mit einer Arbeitslosenquote von 24,2 Prozent, gefolgt von Spanien mit einem Arbeitslosenanteil von 20,1 Prozent. Besorgniserregend ist vor allem die hohe Jugendarbeitslosigkeit in Teilen der Euro-Zone, zum Beispiel mit 36,9 Prozent in Italien und 23,5 Prozent in Frankreich. In Deutschland liegt sie demgegenüber nur bei  7,0 Prozent.

Kritiker weisen jedoch darauf hin, dass die deutschen Arbeitslosenzahlen zu niedrig sind. So tauchen viele Menschen aus dem Niedriglohnsektor in der Statistik nicht auf, obgleich sie öffentliche Unterstützung bekommen. Außerdem erfasst die Statistik nur solche Flüchtlinge,  die aus sogenannten Asyl-Zugangsländern bei den deutschen Jobcentern als arbeitslos registriert sind. Dies ist nur für einen geringen Teil der Flüchtlinge der Fall.

Der jeweilige Zustand des Arbeitsmarktes ist von vielen Faktoren abhängig, so von der Arbeitsproduktivität, von der Verfügbarkeit benötigter Arbeitskräfte, von der Höhe der Löhne und der Lohnnebenkosten sowie von der Flexibilität des Arbeitsmarktes. Auf vielen Gebieten hat sich die Situation in den letzten Jahren verschlechtert. Die Lohnerhöhungen bei den letzten Tarifabschlüssen lagen deutlich über der Produktivitäts- und Inflationsentwicklung. Viele Branchen haben zudem Probleme, die richtigen Fachkräfte zu bekommen. Dazu hat die große Koalition mit neuen Gesetzen (Mindestlohn, Werkverträge, Zeitarbeit, Lohngleichheitsgesetz etc.) die Flexibilität des Arbeitsmarktes erheblich eingeschränkt.

Im Ergebnis ist Deutschland dadurch im Workforce Index (CWI), der 75 Länder umfasst und auf 50 verschiedenen Faktoren beruht, auf den 48 Platz abgerutscht. Lars P. Feld, Mitglied des Sachverständigenrates, warnte bereits: „CDU/CSU und SPD schicken sich an, in die Vor-Agenda-Zeit zurückzufallen. Das Erreichte droht verspielt zu werden.“

Außenwirtschaftliches Gleichgewicht:

Der Außenhandel leistet seit vielen Jahren einen positiven Beitrag zum deutschen Wirtschaftswachstum, allerdings mit nachlassender Tendenz. Im Jahr 2016 beliefen sich die Exporten auf 1.440 Mrd. Euro und die Importen auf 1.198 Mrd. Euro, woraus sich ein Außenhandelsbeitrag von 242 Mrd. Euro errechnet. Aber schon 2016 reduzierte sich das Wachstum der Exporte 2016 auf  nur noch 2,5 Prozent, während die Importe um 3,4 Prozent zulegten, so dass sich der Außenbeitrag im Vergleich zu 2015 wie auch schon in früheren Jahren weiter verminderte. Ein wesentlicher Grund waren die diversen globalen Krisen und Unsicherheiten, die sich dämpfend auf den Export auswirkten.

Der nationale Protektionismus, der überall an Zustimmung gewinnt, ist das größte Risiko für Deutschland als Exportland. Die Bemühungen um TTIP sind vorerst gescheitert. Großbritannien wird auf Grund des Brexit die Europäische Union verlassen. Trump hat die Präsidentenwahl mit  dem Slogan „America first“ gewonnen. Die Regierung in China will sich zunehmend auf den Binnenmarkt konzentrieren. Auf diesen Prozess der Renationalisierung hat die Bundesregierung noch keine Antwort gefunden.

Ein ebenso großes Risiko für Deutschland ist der Verlust an internationaler Wettbewerbsfähigkeit durch zusätzliche Steuerbelastungen und  Regulierungen sowie fehlende Investitionen. Der zukünftige amerikanische Präsiden Donald Trump hat bereits angekündigt, dass er die USA mit dem Dreiklang „Steuersenkung – Deregulierung – Infrastrukturinvestitionen“ wieder stark machen will. Großbritannien wird vermutlich den gleichen Weg gehen. Wie wollen  die Bundesregierung und die EU darauf reagieren? Eine überzeugende Antwort darauf gibt es nicht.

Angemessenes Wirtschaftswachstum:.

Das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland ist 2016 um 1,9 Prozent gewachsen. In der Eurozone lag das Wachstum  im vergangenen Jahr im Schnitt bei 1,7 Prozent. Die USA kamen  auf 1,6 Prozent, Japan nur auf 0,7 Prozent. Spitzenreiter ist weiterhin China mit einem Plus von 6.6 Prozent.

In Deutschland  wurde das Wirtschaftswachstum vor allem von dem staatlichen und privaten Konsum getragen – und von den Investitionen in den Wohnungsbau. Die staatlichen Konsumausgaben stiegen im Vergleich zum Vorjahr um 4,2 Prozent, die privaten um 2,0 Prozent. In Maschinen, Geräte und Fahrzeuge investierten die Unternehmen 1,7 Prozent mehr als zuvor, die Bauinvestitionen stiegen um 3,1 Prozent. Der Wachstumsbeitrag des Außenhandels war per Saldo negativ (siehe oben).

Das kräftige Wachstum des staatlichen Konsums ist in erster Linie auf die hohe Zuwanderung von Schutzsuchenden zurückzuführen. „Einen stärkeren Zuwachs des Staatskonsums hatte es zuletzt 1992 in Folge der deutschen Wiedervereinigung gegeben“, sagte Dieter Sarreither, Präsident des Statistischen Bundesamtes. Die durch Flüchtlingskrise ausgelösten Staatsausgaben haben auf die Wirtschaft wie ein Konjunkturprogramm gewirkt.

Das Wachstum der privaten Konsumausgaben von 2,0 Prozent ist eine Folge der guten Lage auf dem Arbeitsmarkt und der jüngsten Tarifabschlüsse. Die Arbeitnehmerentgelte sind insgesamt mit 3,6 Prozent gestiegen. Demgegenüber legten die Unternehmens- und Vermögenseinkommen nur um 3,1 Prozent zu. Ein Grund für höhere Konsumausgaben waren aber auch höhere Verbraucherpreise gegen Ende des vergangenen Jahres. Grundsätzlich waren Wohnung, Wasser, Strom und Heizung mit fast einem Viertel der Ausgaben die größten Kostenpositionen. Auf Rang zwei folgten Gesundheit und Bildung, dann Verkehr und Nachrichten.

Einen Schwachpunkt der deutschen Wirtschaft waren aus Sicht des DIHK die 2016 getätigten Investitionen. „Der geringe Anstieg der Ausgaben für neue Maschinen, Anlagen oder Fahrzeuge ist angesichts der niedrigen Zinsen ernüchternd“, konstatierte ihr Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben. „Die Politik muss dringend die Investitionsbedingungen verbessern, zum Beispiel durch eine  Vereinfachung des komplexen Steuersystems und attraktive Abschreibungsregelungen.“

Ein weiterer  Schwachpunkt  im Jahr 2016 war der negative Wachstumsbeitrag des Außenhandels. Der Außenhandelsverband BGA bewertete das Ergebnis jedoch positiv. „Die deutsche Wirtschaft ist ein Phänomen“, sagte BGA-Präsident Anton Börger. So sieht es auch das Ifo-Institut in München. „Gerade die exportorientierte deutsche Wirtschaft sollte 2017 von der langsamen Erholung der globalen Märkte profitieren“, sagte der Ifo-Konjunkturforscher Timo Wollmershäuser. Voraussetzung für diesen Optimismus ist allerdings, dass Deutschland und die EU international nicht an Wettbewerbsfähigkeit verlieren.

Gefahren für die Wettbewerbsfähigkeit ergeben sich aus der Energiewende und der Eurokrise. Zur Energiewende  hat der Bundesrechnungshof der Bundesregierung jüngst bescheinigt: „Elementare Fragen wie ´Was kostet die Energiewende den Staat?´ oder ´Was soll die Energiewende den Staat kosten?´ werden nicht gestellt und bleiben unbeantwortet.“ Weiter schreiben die Prüfer, dass die Frage nach der Bezahlbarkeit der Energiewende „noch nicht den ihr zustehenden Stellenwert“ hat. Der Bundsrechnungshof sieht das Risiko, dass die Energiewende immer teurer wird. Zudem konstatieren die Prüfer eine Schieflage bei den mit der Energiewende verfolgten Zielen: „Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit müssen genauso konkretisiert, bewertet und quantifiziert werden wie das bereits ausreichend quantifizierte Ziel Umweltverträglichkeit.“

Auch die Euro-Krise ist seit sechs Jahren ein ungelöstes Problem. Seit ihrem Ausbruch versprachen die Europäer, die Währungsunion mit einem tragfähigen Konstrukt zu untermauern. Längst hat die Öffentlichkeit vergessen, was man dafür alles erfunden hat: beispielsweise den Rettungsschirm ESM. Vorm Untergang gerettet hat Währungsunion aber die Europäische Zentralbank (EZB). Am Ende dieser Legislaturperiode sollte sich die Bundesregierung deshalb eingestehen, dass die Währungsunion nicht funktioniert. Dies gilt auch für die Rettung von Griechenland: Sechs Jahre nach dem ersten Rettungspaket ist man damit nicht viel weiter als an ihrem Anfang. Mit Milliarden hat man das Land zahlungsfähig gehalten, aber nicht wettbewerbsfähig machen können. Athen fehlen deshalb alle Voraussetzungen, Mitglied der Währungsunion zu sein, es sei denn, man transformiert sie in eine Transferunion.

Ausgeglichener Haushalt:

Bund, Länder, Gemeinden und Sozialversicherungen haben das Jahr 2016 mit einem Finanzierungsüberschuss von 19,2 Mrd. Euro abgeschlossen. Das dritte Jahr in Folge haben Bund und Länder somit einen Haushaltsüberschuss erwirtschaftet.  Das wurde möglich, weil die Zinsausgaben aufgrund der lockeren Geldpolitik der EZB immer weiter gesunken sind. Nach Berechnungen der Deutschen Bundesbank  belief sich die Zinsersparnis 2016  - im Vergleich mit den vor der Finanzkrise gezahlten Zinsen - auf 44 Mrd. Euro, seit der Finanzkrise auf insgesamt 240 Mrd. Euro. Deutschland verdankt das Gros seines Haushaltserfolgs also der ultralockeren Geldpolitik der EZB. Die Rechnung der Bundesbank offenbart aber auch, welche Risiken auf Bund und Länder zukommen, sollten die Zinsen nachhaltig wieder steigen.

Ein zweiter Grund für den Finanzierungsüberschuss sind die stark gestiegenen Steuereinnahmen. Während das Bruttosozialprodukt von 2010 bis 2016 um 21 Prozent stieg, wuchsen die Steuereinnahmen um 30 Prozent, die Lohn- und Einkommensteuern sogar um 47 Prozent. Das gesamte Steueraufkommen liegt mittlerweise bei 673 Mrd. Euro. Dementsprechend ist die Steuerquote von 20,5 Prozent auf 22,3 Prozent geklettert.

Mit einer Schuldenquote von 71 Prozent ist die Bundesrepublik nicht mehr weit von der 60-Prozent-Vorgabe der EU entfernt. Darin sind aber die versteckten Schulden in Höhe von  90,0  Prozent des BIP nicht enthalten, die in der letzten Legislaturperiode dynamisch gewachsen sind. Vor allem das Rentenpaket und die Ausweitung der Gesundheits- und Pflegeausgaben schlagen hier zu Buche. Hinzu kommen die Ausgaben für die Flüchtlinge, die Bund, Länder und Kommunen sowie Sozialkassen auf Jahre hinaus belasten werden. Und so ist Deutschland im EU-Nachhaltigkeitsranking 2016 vom 5. Platz auf den 9. Platz abgerutscht. „Der Sinkflug Deutschlands hat eingesetzt“, sagte Michael Eilfort von der Stiftung Marktwirtschaft.

Kritisch wird die Finanzlage bereits im Jahr 2020, weil sich dann etliche Haushaltsrisiken realisieren, die die große Koalition zu vertreten hat.  Die Rentenkasse muss jährlich zusätzlich 10,0 Mrd. Euro für die Rente mit 63 und die Mütterrente aufbringen. Mit 8,0 Mrd. Euro schlagen die Änderungen die bei Gesundheit und Pflege zu Buche.  Für die Flüchtlinge kommen auf den Bund Kosten von 15,0 Mrd. Euro zu. Der Bundeszuschuss in die Rentenkasse steigt 2020 um weitere 13,5 Mrd. Euro, weil ab dann die Mütterrente aus Steuermitteln finanziert werden muss. Erhebliche Risiken ergeben sich auch aus den explodierenden Pensionslasten des Staates. Zudem wird Deutschland infolge des Brexit einen höheren Beitrag an die EU leisten müssen. Ab 2020 steht zudem die erste Abschreibung der Griechenland-Schulden an, da mit einer Rückzahlung nicht zu rechnen ist. 


   

  





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