Die gescheiterte Energiewende

Datum 26.08.2015 23:00 | Thema: 

Die gescheiterte Energiewende

Wenn Manager von Großunternehmen zur Energiewende gefragt werden, beklagen sie meistens das Fehlen eines „Masterplanes“. Aus ihrer Erfahrungswelt heraus vergleichen sie die Energiewende  mit einer Großbaustelle, die sorgfältige Planung und Taktung, systematische Koordination und Überwachung erfordert, damit sie nicht aus dem Ruder läuft. Auf die Politik übertragen bedeutet dies, dass die Umsetzung der Energiewende ohne eine zentralen Planung und Umsetzung nicht funktionieren kann.

So schrieb zum Beispiel Jürgen Flauger im Handelsblatt vom 3. Mai 2012:

„Der Umstieg in eine Energiewirtschaft ohne Atomkraft, aber mit viel Wind- und Sonnenenergie wird ohne eine massive Steuerung durch die Politik scheitern. Damit das Großprojekt gelingt, die über Jahrzehnte gewachsene deutsche Energieversorgung innerhalb eines Jahrzehnts radikal umzubauen, sind massive Eingriffe in den Energiemarkt nötig. Das ist bedauerlich, liegt aber daran, dass die Politik schon so massiv eingegriffen hat, dass der Markt die jetzt nötigen Anreize nicht mehr setzen kann.“


Technische und wirtschaftliche Systemfehler

Soviel Glaube an "planwirtschaftliche Methoden" ist angesichts der Erfahrungen mit der Energiewende lebensfremd. Denn er verkennt die Funktion des Energiemarktes und unterschätzt die technischen und ökonomischen Probleme der Energieversorgung. Die zentrale Aufgabe der Energiemärkte besteht darin, die Pläne von zigtausend Erzeugern und Versorgern mit den Plänen von zigmillionen Verbrauchern in Übereinstimmung zu bringen. Der Staat muss hierzu die erforderliche Rahmenordnung vorgeben, er kann die Entscheidungen der Marktteilnehmer aber nicht ersetzen oder diktieren. Macht er es gleichwohl, so entsteht das Chaos, das wir zur Zeit auf dem Energiemarkt erleben. Hinzu kommt, dass die mit der Energiewende befassten  Akteure in der Politik den mit der Energiewende verbundenen technischen und wirtschaftlichen Problemen nicht gewachsen sind. Dennoch versuchen sie mit ungebrochenem Eifer, den Transformationsprozess mit planwirtschaftlichen Eingriffen weiterzutreiben und zu steuern. Das Ergebnis ist eine nicht endende Interventionsspirale, wodurch das Chaos immer größer wird. 

In technischer und wirtschaftlicher ist die Energiewende inzwischen  gescheitert:

  • Die Energiewende ist nur eine Strommarktwende. Ein sektorale Koppelung mit den Märkten für Wärme und Mobilität existiert nicht.
  • Tausende Windkraftwerke und unendlich viele Sonnenkollektoren erzeugen Strom. Aber immer noch fehlt ein  System, in dem erneuerbare Energien gespeichert und jederzeit genutzt werden können.
  • Ein großer Teil der Windkraft und des Sonnenstroms bleiben ungenutzt, weil Netze und Speicher fehlen. Die Verbraucher zahlen dafür dennoch Milliardenbeträge pro Jahr.
  • Weil die Sonne unregelmäßig scheint und der Wind nicht immer weht, müssen die Versorger zur Sicherung der Grundlast Kraftwerke vorhalten, die sich nicht rechnen.
  • Es sind vor allem die als Reserve besonders geeigneten Gaskraftwerke, die durch den Ökostrom unwirtschaftlich geworden sind und stillgelegt werden.
  • Aus einem System, in dem die Nachfrage das Angebot steuert, wird eines, in dem Wind, Sonne und staatliche Förderung das Angebot bestimmen.
  • Der Energiemix bestimmt sich  immer weniger nach den betriebswirtschaftlichen Kosten des Stroms und immer mehr nach dem Wetter und der Tageszeit.
  • Die Industriestrompreise steigen. Für 95 Prozent der Unternehmen, die nicht von Entlastungsregeln profitieren, ist dies ein Wettbewerbsnachteil.
  • Auch Investitionen in regenerative Energien orientieren sich nicht an ihrer Wirtschaftlichkeit, sondern an der Höhe der Fördersätze.
  • Davon profitiert vor allem die Photovoltaik, die den größten Teil der Fördermittel verschlingt, aber den geringsten Beitrag an erneuerbarer Energie liefert.
  • Auch wenn das Stromnetz an sonnigen und windigen Tagen die Last nicht tragen kann, bekommen Solar- und Windparkbetreiber Geld ohne Gegenleistung, nur für das Abklemmen vom Netz.
  • Wenn der im Überfluss produzierte Ökostrom ins polnische oder holländische Netz drückt, zahlen wir mit negativen Strompreisen dafür.
  • Auch Unternehmen, die freiwillig den Stromverbrauch in Hochlastzeiten reduzieren, werden dafür bezahlt.
  • Wir bezahlen also immer mehr für elektrische Energie, die nicht erzeugt und nicht verbraucht wird.
  • Mit steigenden EEG-Vergütungen (durch Ausweitung der Produktionskapazitäten für Öko-Strom) und fallenden Börsenpreisen für Strom (durch stoßweises Überangebot) erhöht sich automatisch die EEG-Umlage und damit der Strompreis.
  • Hinzu kommen die Kosten für den Netzausbau. Die Offshore-Windanlagen müssen mit dem Festland verbunden werden.
  • Große Überlandleitungen bzw. erdverkabelte Leitungen in Richtung Süden müssen gebaut werden, um den Windstrom aus dem Norden in den Süden zu transportieren, wo die meisten Atommeiler vom Netz gehen.
  • Der Netzbetreiber TransnetBW plant, dass die Trasse "Suedlink" im Jahr 2025 in Betrieb gehen kann. Der letzte Reaktor soll jedoch bereits 2022 vom Netz gehen.
  • Die Mittel- und Niederspannungsnetze müssen angepasst werden, weil die Versorgung anders als in der Vergangenheit nicht mehr durch eine beschränkte Anzahl großer Kraftwerke, sondern durch eine große Zahl kleiner Anlagen erfolgt.
  • Die Klimabilanz hat sich verschlechtert. Aufgrund fallender Preise für Kraftwerkskohle ist mehr Kohle verstromt worden.
  • Der überflüssige Ökostrom hat auch die Preise für Emissionszertifikate verfallen lassen, so dass kein Anreiz besteht, Kohlendioxid zu vermeiden.

Die Energiewende teilt das Schicksal, das alle Systeme der staatlichen Wirtschaftsplanung erleiden: sie werden immer komplexer, unübersichtlicher und widersprüchlicher. All die Umlagen, Beihilfen, Befreiungen und Privilegierungen für unzählige Arten und Unterarten von Stromerzeugern überfordern die beste Bürokratie. Ein schönes Beispiel dafür war eine Novelle zur sogenannten Kraft-Wärme-Kopplung, die dem Bundeskabinett im Oktober 2016 zur Entscheidung vorgelegt wurde. Danach sollten auch Speicherkraftwerke (Talsperren und Stauseen), die in wind- und sonnenarmen Zeiten die Sicherheit der Stromnetze garantieren, mit der vollen KWK-Umlage belastet werden. "Für ein Pumpspeicherwerk mit einer Leistung von 1000 Megawatt und einer jährlichen Speicherarbeit von 1400 Gigawattstunden würde dies zu Mehrkosten von rund sechs Millionen Euro pro Jahr führen", rechnete der Energiekonzern RWE vor. "Ausgerechnet die Anlagen, die den Ausbau der erneuerbaren Energien am meisten unterstützen, würden so ins wirtschaftliche Aus gedrängt."   

Diese Mängel und Widersprüche werden Grüne und Umweltverbände nicht davon abhalten, weiterhin den Mythos zu pflegen, dass die Energiewende ein Projekt zur  Rettung des Weltklimas ist. Sie verweisen hierbei auf das rasante Wachstum erneuerbarer Energien an der deutschen Stromversorgung auf inzwischen 30 Prozent. Entscheidend für das Klima ist aber nicht der Stromverbrauch, sondern der gesamte Primärenergiebedarf eines Landes. Und dazu gehören alle Treib- und Kraftstoffe für Heizungen, Motoren, Landwirtschaft und Industrieprozesse. Bei deren Verbrennung wird weitaus mehr CO2 freigesetzt als bei der Stromerzeugung.

Nach den Berechnungen des Physikalischen Instituts der Universität Heidelberg lag der Anteil der erneuerbaren Energien am Primärenergieverbrauch in Deutschland 2014 bei lediglich 11,1 Prozent. Davon machte die Biomasse etwa die Hälfte aus. Auf die rund 25.000 Windräder entfiel nur ein Anteil von 1,5 Prozent und auf die mehr als eine Millionen Solaranlagen sogar nur ein Prozent. Der Beitrag von Ökostrom zum Klimaschutz ist damit verschwindend gering. Das Physikalisches Institut kommt deshalb zu folgendem Ergebnis: "Der bisherige Ausbau der Wind- und Solarenergie ist augenfällig, das bisher Erreichte fällt aber sehr bescheiden aus, gemessen am Gesamtziel einer weitgehend von fossilen Energieträgern unabhängigen Energieversorgung unseres Landes."

Vielfältige Kostentreiber

Es verwundert deshalb nicht, dass die gesellschaftliche Akzeptanz der Energiewende bröckelt. Zwar kann sich noch etwas mehr als die Hälfte der Bevölkerung mit den Zielen der Energiewende identifizieren, die Mehrheit lehnt es aber ab, dafür selbst Nachteile in Kauf zu nehmen. Zu den hauptsächlichen Verlierern der Energiewende gehören die Verbraucher. Obwohl der Strompreis an der Börse auf ein Rekordtief gesunken ist,  steigen die Preise für die Verbraucher auf breiter Front an. Für diese Preiserhöhungen gibt es drei Gründe: Der erste ist die gestiegene EEG-Umlage für Ökostrom, der zweite sind die höheren Netzentgelte, also die Durchleitungsgebühren, die ein Stromnetzbetreiber vom Stromanbieter verlangt, und der dritte sind die sog. "Nebenkosten",  die durch den wachsenden Interventionsbedarf zur Stabilisierung der Netze anfallen. Umlagen, Abgaben, Steuern und Netzentgelte machen inzwischen 79 Prozent des Strompreises aus, nur 21 Przent können die Versorger beeinflussen.

EEG-Umlage:

Die EEG-Umlage sollte nach einer früheren Zusicherung der Bundeskanzlerin 3.5 Cent/kWH nicht überschreiten. Zurzeit (2016) sind es aber bereits 6,35 Cent/kWh, die der Stromkunde mit der Stromrechnung bezahlen muss. Fachleute rechnen für 2017 mit 7,1 Cent pro Kilowattstunde. "Das entspricht ungefähr einer Verdopplung in fünf Jahren", kommentierte Hubertus Pellengahr, Geschäftsführer der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft INSM). Seit im Jahr 2003 der damalige Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) versichert hatte, die Energiewende werde die Verbraucher "nicht mehr als eine Kugel Eis pro Monat kosten", habe sich die EEG-Umlage versiebzehnfacht. Die Energiewende "ist und bleibt außer Kontrolle" sagte Pellengahr.

Die EEG-Umlage wird erhoben, damit die Produzenten erneuerbarer Energien einen höheren Preis für die Einspeisung ihres Stroms bekommen als der Verkauf über die Strombörse ihnen einbringt. So paradox es klingt: Gerade weil der Strompreis an der Strombörse so niedrig ist, fällt die Umlage besonders hoch aus. Und mit weiteren Erhöhungen ist zu rechnen, weil immer mehr Wind- und Solaranlagen gebaut werden. Auch für Ökostrom, der nicht gebraucht  oder verschenkt wird, muss der Verbraucher zahlen. Die stetig steigende Umlage beunruhigt insbesondere die energieintensiven Branchen. Utz Tillmann vom Verband der Chemischen Industrie forderte: "Damit die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie nicht weiter geschwächt wird, sollte die Politik über neue Wege nachdenken, den Anstieg der EEG-Umlage zu stoppen". Das Institut der Deutschen Wirtschaft Köln (IW) hat dazu vorgeschlagen, die Förderkosten für die Erneuerbaren "stärker über den öffentlichen Haushalt und nicht mehr über den EEG-Automatismus zu finanzieren", um die Regierung unter Reformdruck zu setzen.   

Netzausbaukosten:

Zum größten Kostentreiber für die Stromkunden entwickelt sich jedoch das Netzentgelt, das mit 7,27 Cent je Kilowattstunde die EEG-Umlage schon heute überrundet hat. Mit dem Netzentgelt werden die wachsenden Kosten für das Stromnetz auf die Stromkunden umgelegt. "In vielen Regionen dürften die Netzentgelte in diesem Jahr aufgrund des erforderlichen Aus- und Umbaus von Verteil- und Übertragungsnetzen weiter steigen", sagte eine Sprecherin des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). Nach den Ausbauplänen der Bundesregierung müssen in die Verteilnetze der Stadtwerke und Regionalversorger bis zum Jahr 2030 rund 140 Gigawatt erneuerbare Energien aufgenommen werden. Demgegenüber sind es auf der Ebene der vier großen Übertragungsnetzbetreiber lediglich 17 Gigawatt.

Die vier Netzbetreiber (Amprion, Tennet, 50Hertz und TransnetBW) kommen in ihrem Ausbauplan bis 2025 zu dem Ergebnis, dass die geplanten neuen Stromautobahnen und der notwendige Ausbau der Regionalnetze, die den Ökostrom kleinteilig einsammeln, die Verbraucher in den kommenden zehn Jahren zweistellige Milliardenbeträge kosten wird. Allein um den Windstrom in den Süden zu transportieren, werden Kosten in Höhe von 15 Milliarden Euro entstehen. Hinzu kommen Kosten für die regionalen Verteilnetze: Bestehende Stromleitungen müssen verstärkt, neue Stromleitungen verlegt sowie Trafostationen und andere technische Einrichtungen installiert werden. Dies wird nach Angaben der Branchenverbände BDEW und VKU "in den nächsten Jahren bis zu 50 Milliarden Euro" ausmachen.

Kosten für "Redispatch":

Innerhalb der Netzentgelte ist der sogenannte  "Redispatch" der stärkste Kostentreiber. Um das schwankende Aufkommen an Ökostrom auszugleichen, müssen die Netzbetreiber immer häufiger in den konventionellen Kraftwerkspark eingreifen, wodurch Entschädigungszahlungen ausgelöst werden. Außerdem sind Windräder zu entschädigen, die vorübergehend vom Netz genommen werden müssen, weil die Leitungen den erzeugten Strom nicht mehr aufnehmen können. In Niedersachsen war dies nach einem unveröffentlichten Bericht der Netzagentur "an weit über der Hälfte der Tage" der Fall. 

Solche Redispatch-Kosten betrugen 2015 bereits eine Milliarde Euro. Nach Schätzungen der Bundesnetzagentur könnten sie auf vier bis fünf Milliarden Euro pro Jahr steigen. Dazu kommen die Entschädigungszahlungen für Reservekraftwerke, die an dunklen und windstillen Tagen die Stromversorgung sichern sollen. Die Netzagentur hat dafür alte Kohle- und Gaskraftwerke mit einer Gesamtleistung von 7500 Megawatt unter Vertrag genommen, mehr als doppelt so viel wie im Vorjahr. Zusätzlich ist den Betreibern von Braunkohlekraftwerken versprochen worden, dass sie für die Stilllegung ihrer Kohlemeiler mit  insgesamt 1,6 Milliarden Euro entschädigt werden sollen. Auch diese Kosten werden umgelegt. Die Umlage für das Stromnetz entwickelt sich dadurch immer mehr zu einem "Instrument zur Verschleierung der wahren Kosten der Energiewende", schreibt die FAZ am 7. Nov. 2015.

"Unsere Netzentgelte werden zum Jahreswechsel um 80 Prozent steigen", sagte Tennet-Chef Urban Keussen dem "Handelsblatt". Die Hauptursache sieht er darin, "dass der Netzausbau nicht so schnell vorankommt wie der Zubau der Erneuerbaren". Die Stromnetzbetreiber müssten deshalb immer mehr Gegenmaßnahmen (Abschalten von Windrädern, Drosseln oder Hochfahren von Kraftwerken) ergreifen, um die Netze zu stabilisieren. Der Anstieg der Netzentgelte von Tennet geht größtenteils auf das Konto solcher "netzstabilisierender Notmaßnahmen", sagte Keussen. "Nur fünf Prozent sind durch den Netzausbau begründet."  Das zeige, dass die vielen Verzögerungen beim Bau neuer Stromnetze teurer sei als der Neubau von Masten und Leitungen selbst.

Die Redispatch-Kosten treffen vor allem die Übertragungsnetzbetreiber Tennet und 50 Hertz, die geografisch maßgeblich an der Einspeisung des Stroms aus den Windparks an Nord- und Ostsee beteiligt sind und wegen fehlender Transportnetze immer stärker in den Netzbetrieb eingreifen müssen.  Die anderen Betreiber Amprion und TransnetBW haben im Vergleich dazu geringe Kosten, so dass die Verbraucher unterschiedlich belastet werden. Für die ostdeutschen Verbraucher, die schon jetzt unter überdurchschnittlichen Netzkosten leiden, bedeutet das wiederum steigende Kosten. Es heißt, dass ein Gewerbebetrieb auf der Mittelspannungsebene mit rund 10.000 Euro Zusatzkosten rechnen müsse und die Stromrechnung für Kunden in der Hochspannungsebene um rund 100.000 Euro steigen werde.  

Kosten der Digitalisierung:

Zusätzlich Kosten drohen dem Verbraucher auch aus dem vom Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel eingebrachten Gesetz zur "Digitalisierung der Energiewende", über das der Bundestag kurzfristig entscheiden soll. Damit sollen Verbraucher verpflichtet werden, einen digitalen Zähler, einen sogenannten "Smart Meter", anzuschaffen, der den Stromverbrauch digital steuert. Gabriels Begründung für den Gesetzentwurf lautet: Da der Strom nicht mehr aus ein paar Großkraftwerken, sondern von 1,6 Millionen Kleinerzeugern kommt, bedarf es "intelligenter" Zähler, die den Stromfluss vom Produzenten bis zum Verbraucher steuern. Nur mit modernster Datentechnik lässt sich die schwankende Stromproduktion der Wind- und Solaranlagen passgenau der schwankenden Stromnachfrage anpassen, fordern die Konstrukteure der Energiewende.

Doch die technischen Voraussetzungen für das Energiedatenetz sind noch lange nicht gegeben. Deshalb wird sich die gesetzliche Frist zur Einführung intelligenter Stromzähler und Messsysteme nicht einhalten lassen: Eigentlich sollten sie schon ab 2020 in Betrieb gehen, kurz bevor im Jahr 2022 das letzte deutsche Kraftwerk vom Netz geht. Doch dieser Termin wird sich voraussichtlich nicht einhalten lassen. Die Bundesnetzagentur (BNetzA) sieht "die wesentliche Hürde für eine zeitgerechte Umsetzung zum 1.1.2020 in der Definition der technischen Rahmenbedingungen". Demnach ist noch nicht geklärt, was genau ein "intelligentes Messsystem" können muss. Und solange das nicht geklärt ist, kann die Elektronik-Industrie keine geeigneten Geräte bauen.

Für die Energiewende ist dies ein herber Rückschlag, weil den intelligenten Stromzählern eine "Schlüsselrolle" zukommt, wie das Bundeswirtschaftsministerium betont: "Sie dienen als sichere Kommunikationsplattform, um das Stromversorgungssystem energiewendetauglich zu machen." Verzögerungen werden sich voraussichtlich auch aus anderen Gründen ergeben: Verbraucherschützer und Grüne beanstanden die Höhe der Kosten und die fehlende Datensicherheit. Die Stadtwerke und Regionalnetzbetreiber befürchten Wettbewerbsnachteile durch Offenlegung der Verbrauchsdaten und verweisen darauf, dass die Arbeitsteilung zwischen Übertragungs- und Verteilnetzbetreibern effizient laufe und für Versorgungssicherheit sorge.

Gewinner und Verlierer:  

Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW Köln) zeigen, dass für einen Durchschnittshaushalt Ende 2016 seit dem Atomausstieg 2011 zusätzliche Stromkosten in Höhe von 540 Euro angefallen sind. Davon entfallen allein 350 Euro auf die Förderung von Ökostrom. Solche Umlagen sind verteilungspolitisch bedenklich, weil sie vor allem die ärmeren Haushalte betreffen. Indirekt sind davon aber auch alle Arbeitnehmer betroffen, weil mit steigenden Stromkosten die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft leidet und die Arbeitsplätze unsicher werden. Steigende Stromkosten sind deshalb ein gesellschaftliches Problem. Mit dem weiteren Ausbau der Öko-Stromanlagen wird sich dieser Konflikt verschärfen.

Zu den Verlierern der Energiewende gehören  auch die Landschaft und insbesondere der Wald. In deutschen Landen rotieren inzwischen 26.000 Windräder und bestimmen das Landschaftsbild. Weil die besten Standorte bereits belegt sind, werden auch zunehmend Wälder als Windkraftgebiete ausgewiesen. Nach aktuellen Zahlen waren Ende 2015 bereits 1.200 Windkraftanlagen in Wäldern in Betrieb. Drei Viertel dieser Anlagen wurden erst in den vergangenen fünf Jahren errichtet, vor allem im baumreichen Süden. Bundesländer mit grüner Regierungsbeteiligung haben kaum Probleme damit, den Wald für die Windkraftindustrie zugänglich zu machen. 

Die Energiewende kennt aber auch Gewinner: Dazu zählen die Besitzer und  Betreiber eines Windrades, einer Solar- oder Biogasanlage. Ihnen geht es nicht um Klimaschutz, sondern um das ganz profane Ziel, wirtschaftliche Vorteile zu erlangen oder zu sichern. Zu den Profiteuren gehören auch die vielen Landwirte, Hausbesitzer, Handwerker, Investoren, Industrie, Lobbyisten usw., die an dem Topf von 23 Mrd. Euro beteiligt sind, der jährlich an die erneuerbaren Energien verteilt wird. Dieser Topf wird durch die EEG-Umlage gefüllt, die die Stromverbraucher für den Ökostrom zu zahlen haben.

Die unzähligen Profiteure der Energiewende  sind inzwischen so mächtig, dass sich kein Politiker mehr traut, an ihren Besitzständen zu rütteln. Angela Merkel hat das EEG-System zutreffend analysiert: „Sie können daran studieren wie es ist, wenn Mehrheiten zu Subventionsempfängern werden und damit nicht mehr bereit sind, die eigene Subvention abzuschaffen.“ Zu ergänzen wäre, dass sie an dem Entstehen dieses Zustandes an entscheidender Stelle mitgewirkt hat.

Verfehlte Ziele

Das größte Risiko für das Wirtschaftswachstum in Deutschland ist die Energiewende. Wie es um die Energiewende bestellte ist, hat der Bundesrechnungshof der Bundesregierung in ihrem jüngsten Prüfbericht ins Stammbuch geschrieben: „Elementare Fragen wie ´Was kostet die Energiewende den Staat?´ oder ´Was soll die Energiewende den Staat kosten?´ werden nicht gestellt und bleiben unbeantwortet.“ Weiter schreiben die Prüfer, ihre Kontrollen zeigten, dass die Frage nach der Bezahlbarkeit der Energiewende „noch nicht den ihr zustehenden Stellenwert“ habe. Der Bundsrechnungshof sieht das Risiko, dass es immer teurer werde, die Energiewende nach vorne zu treiben. Zudem konstatieren die Prüfer eine Schieflage bei den mit der Energiewende verfolgten Ziele: „Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit müssen genauso konkretisiert, bewertet und quantifiziert werden wie das bereits ausreichend quantifizierte Ziel Umweltverträglichkeit.“

McKinsey-Experten, die seit mehreren Jahren die Energiewende untersuchen, kamen Mittel September 2016 zu dem Ergebnis, dass sich die politischen Vorgaben in Bezug auf Klimaschutz, Wirtschaftlichkeit und Versorgungssicherheit  mit der gegenwärtigen Politik nicht erreichen lassen. So haben sich die deutschen CO2-Emissionen auf 925 Megatonnen erhöht,  "womit das für 2020 angepeilte Ziel von 750 Megatonnen in immer weitere Ferne rückt", heißt es in der Studie der Expertengruppe. Während die Ausbauziele bei den Offshore-Windparks mit 170 Prozent übererfüllt werden, spricht McKinsey bei den Aufwendungen zur Stabilisierung des Stromnetzes von einer "Kostenexplosion". Weil Stromleitungen zwischen Nord- und Süddeutschland fehlen, müssen die Netzbetreiber immer häufiger mit einem sogenannten "Re-Dispatch" in den Kraftwerksbetrieb eingreifen - und damit geschlossene Verträge zwischen Stromlieferanten und Stromkäufern aushebeln. Dadurch haben sich die Kosten für Re-Dispatch-Maßnahmen  auf 403 Millionen Euro im Jahr 2015 verdoppelt.

"Nicht nur die teueren Netzeingriffe verschlechtern die ökonomische Bilanz der Energiewende, das gilt auch für die aktuelle Strompreisentwicklung", warnen die McKinsey-Experten. "Die Haushalts- und Industriestrompreise entfernen sich immer mehr vom EU-Durchschnitt." Inzwischen liegt das Preisniveau für deutschen Haushaltsstrom 42,1 Prozent über dem europäischen Durchschnitt, bei Industriestrom sind es rund 20 Prozent "mit steigender Tendenz". Entsprechend ist von einer EEG-Umlage von maximal 3,5 Cent pro Kilowattstunde, wie sie Bundeskanzlerin Angela Merkel einst versprach, "heute keine Rede mehr", betont McKinsey. Die Ökostromabgabe beträgt heute 6,35 Cent.

  





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