Strukturpolitik auf Abwegen

Datum 20.12.2015 13:14 | Thema: Wirtschaftspolitik

Strukturpolitik auf Abwegen


Für die Wirtschaftspolitik der von Angela Merkel geführten Bundesregierungen ist kennzeichnend, dass es kaum noch Initiativen für eine marktwirtschaftlich orientierte Reformpolitik gibt. Andererseits ist das Feld subventionierter Aktivitäten im Bereich der regionalen und sektoralen Strukturpolitik immer größer geworden. Mit anderen Worten: Strukturpolitische Maßnahmen sind der Ersatz für den erlahmenden Reformwillens in der Wirtschafts- und Sozialpolitik.

Schon aus ordnungspolitischer Sicht besteht bei der Strukturpolitik dringender Handlungsbedarf. Es sind vor allem die Grenzenlosigkeit und die Kleinteiligkeit strukturpolitischer Maßnahmen, die  bedenklich sind. Ein übergeordnetes Konzept für die Förderpolitik ist nicht zu erkennen. Strukturpolitik hat inzwischen viel mit Umverteilung und immer weniger mit Wirtschaftspolitik zu tun. Es geht dabei nicht um Zukunftsinvestitionen und Wirtschaftswachstum, sondern um die Sicherung des "status quo" und die Befriedigung von Interessengruppen.

Der wirtschaftspolitische Hebel, um die Strukturpolitik zu reformieren, ist der Subventionsabbau. Es empfiehlt  sich, alle Subventionen gleichermaßen stark zu kürzen. „Subventionen sollten mit dem Rasenmäher gekürzt werden“, sagt der IfW-Experte Alfred Boss. Denn „sobald die Politik anfängt, gezielt zu kürzen, steht sofort jemand auf der Matte und fragt, warum ausgerechnet bei ihm gekürzt wird.“


Strukturpolitik ohne Konzept:

Die Notwendigkeit der Strukturpolitik in einem marktwirtschaftlichen System ist umstritten: Sie wird damit begründet, dass der volkswirtschaftliche Nutzen des Strukturwandels häufig mit regionalen oder sektoralen Nachteilen verbunden ist, die zeitweilig mit Hilfe von Anpassungshilfen ausgeglichen werden müssen. Dem wird jedoch entgegengehalten, dass sich Anpassungssubventionen bei starker Lobby schnell zu dauerhaften Erhaltungssubventionen entwickeln, die den Strukturwandel behindern.

Als weitere Begründung wird angeführt, dass Schlüsselindustrien gefördert werden müssen, um ihnen den Marktzugang  zu ermöglichen oder zu erleichtern. Damit werden beispielsweise die Finanzhilfen für die Erzeugung von Strom aus Wind und Sonne legitimiert. Doch woher weiß die Regierung, welche Industrien zukünftig rentabel sind? Expertenteams mögen in der Lage sein, sog. Schlüsselindustrien zu identifizieren, aber kein Experte kann die Rentabilität von Investitionen auf Zukunftsmärkten prognostizieren. Dies können die Märkte erfahrungsgemäß besser: Es ist der „Wettbewerb als Entdeckungsverfahren“ (F.A.von Hayek), der die Marktwirtschaft gegenüber der Planwirtschaft als überlegene Wirtschaftsordnung auszeichnet.

So bemängelt Reint Gropp, Leiter des Hallenser Wirtschaftsforschungsinstituts, dass in Deutschland zu viel Geld in falsche Technologien gelenkt werden. „Wir betreiben etwa eine irrsinnige Subvention von erneuerbaren Energien, während gleichzeitig effiziente Kraftwerke vom Netz genommen werden.“ Die Folge dieser falschen Förderpolitik sei eine wachsende Produktivitätslücke, insbesondere zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten, meint Gropp. Der Abstand zwischen der deutschen und der amerikanischen Arbeitsproduktivität sei von 6 Prozent im Jahr 2000 auf inzwischen 14 Prozent gestiegen.

Strukturpolitik ist immer auch mit Umverteilung verbunden: Geförderte Regionen oder Sektoren erlangen Vorteile gegenüber nicht geförderten Regionen oder Sektoren. Dabei geht es um stattliche Summen: Im Jahr 2010 verteilten die Europäische Union, der Bund, die Länder und Gemeinden laut Berechnungen des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW)  insgesamt rund 164 Mrd. Euro an Beihilfen und Subventionen.

Auf Kritik stoßen dabei vor allem Finanzhilfen an Unternehmen, von denen auch die großen Unternehmen profitieren. Nach einer Analyse des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW) summierten sich die Finanzhilfen des Bundes an deutsche Unternehmen im Jahr 2017 auf 36,6 Milliarden Euro. Nahezu alle DAX-Konzerne gehörten zu den Begünstigten. So wurden allein an Siemens von 2007 bis 2017 von verschiedenen Ministerien 305 Millionen Euro gezahlt. Befürworter halten die Zahlungen für notwendig, damit Deutschland konkurrenzfähig bleibe. Kritiker sprechen von verzerrtem Wettbewerb, insbesondere zulasten mittelständischer Unternehmen.  

Selbst die Förderung junger Unternehmen durch die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) wird als kontraproduktiv kritisiert. “Die KfW vergibt subventionierte Kredite, letztlich Steuergeld. Es gibt dadurch eine massive Verdrängung von privaten Kapitalgebern“, stellte Reint Gropp fest. "Sehr riskante innovative Projekte  kann man aber nur mit Eigenkapitalgebern verwirklichen, weil diese als Kompensation eine Gewinnbeteiligung erwarten.“

Kreditanstalt für Wiederaufbau

Wie sich Strukturpolitik allgemein entwickelt hat, lässt sich besonders gut an dem rapiden Wachstum der Kreditanstalt für Wiederaufbau  (KfW), der Förderbank des Bundes, ablesen. Die KfW ist nach ihrer Bilanzsumme mittlerweise die drittgrößte Bank Deutschlands.  Die Zahl ihrer Mitarbeiter ist von 900 in den 90er Jahre auf rund 5.000 im Jahr 2012 gewachsen. Während die meisten Banken schrumpfen, ist ihre Bilanzsumme von 1990 bis 2011 von 69 Milliarden Euro auf 495 Milliarden Euro gestiegen.

Der wesentliche Teil des Geschäfts der KfW besteht aus staatlichen Förderkrediten, die nicht direkt, sondern über die Banken vergeben werden. Die Förderkulisse ist außerordentlich breit und unübersichtlich: Gefördert werden die Erneuerbaren Energien, der Umweltschutz, der Schiffbau, Altenwohnungen, bestimmte Schlüsselindustrien, inzwischen auch Euro-Länder, und vieles mehr.

Ob und welches Konzept sich hinter diesen vielfältigen Aktivitäten verbirgt, ist nur schwer zu erkennen. Benachteiligte Regionen werden in der Absicht gefördert, der dortige Wirtschaft  durch den Ausbau der Infrastruktur, über die Schulung von Arbeitskräften oder mit finanzielle Zuschüsse zu helfen. Ziel der sektoralen Förderung ist es, bestimmten Branchen oder Unternehmen den Strukturwandel oder den Marktaustritt zu erleichtern. Soweit bestimmte Schlüsselindustrien oder die Gründerszene gefördert werden, geht es der Politik um die Verbesserung der gesamtwirtschaftlichen Produktivität.

Die KfW sollte ursprünglich nur dort aktiv werden, wo andere Institute sich zurückhalten. So soll die Bank keine regulären Kredite an Unternehmen und Verbraucher vergeben. Tatsächlich aber ähnelt ihr Produktangebot in Teilen mehr und mehr dem der privaten Wettbewerber. So finanziert sie  - wenngleich indirekt über die privaten Banken - Immobilienbesitzer und Unternehmensgründer. Da sie dank des Staats als Eigentümer über ein AAA-Rating verfügt, sind ihre Angebote konkurrenzlos günstig. Dies ärgert Wettbewerber und Ordnungsökonomen. "Man braucht kein ineffiziente Staatsbank, die subventionierte Kredite vergibt und sich damit ins Bankgeschäft einmischt", sagt Roland Vaubel, emeritierter Professor der Volkswirtschaftslehre.

Wie groß der Einfluss der Politik auf die Geschäftspraktiken der Bank ist, kann man schon an der Zusammensetzung des Verwaltungsrats der Bank erkennen. Von den 35 Mitgliedern des Kontrollorgans kommen 21 aus der Politik. Dies erklärt auch das starke Engagement der KfW bei der Finanzierung von Windparks. Mittlerweile ist die staatliche Förderbank bei sechs Offshore-Windparks mit knapp zwei Milliarden Euro engagiert, bei denen 95 Prozent des Risikos beim Steuerzahler liegen. In Zukunft soll die KFW mehr als die Hälfte ihres Fördervolumens in "grüne" Projekte stecken, weil dies eine "Herzensangelegenheit von Kanzlerin Angela Merkel" sei, schreibt DIE WELT in ihrer Ausgabe vom 9. Dezember 2017.

"Eine Förderbank ist nicht nur überflüssig, sondern sogar gefährlich", kritisiert Finanzwissenschaftler Stefan Homburg von der Universität Hannover solche Geschäftspraktiken. Ähnlich wie die Landesbanken werde die KfW politisch und intransparent gesteuert, ihre Risiken lägen letztlich beim Steuerzahler, ohne dass dies im Haushalt transparent werde.  "Wenn der Staat Projekte fördern will, soll er dies über direkte Subventionen tun und nicht den Umweg über eine Bank nehmen." 

Europäische Strukturpolitik:

Kohäsionspolitik:

Auch auf europäischer Ebene sind die strukturpolitischen Aktivitäten - von der Öffentlichkeit weitgehend unbeobachtet - dynamich gewachsen. Inzwischen ist bei der sogenannten "Kohäsionspolitik" viel Geld im Spiel: Im Zeitraum von 2014 bis 2020 werden hierfür rund 350 Milliarden Euro, ein Drittel des EU-Haushalts, ausgegeben.

Die Anfänge der Kohäsionspolitik gehen auf die Frühphase der europäischen Integration zurück. Das Ziel der Stärkung des wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalts (also der Kohäsion) wurde in den europäischen Verträgen festgeschrieben. Durch sinnvolle Investitionen sollte das Wohlstandsgefälle verringert und eine Angleichung der Lebensbedingungen bewirkt werden. Auf diese Weise sollten alle von der Schaffung eines gemeinsamen Marktes profitieren. Jedoch spielten auch politische Erwägungen eine entscheidende Rolle: Kohäsionsmittel waren häufig die Belohnung für Zugeständnisse bei der Vertiefung und Erweiterung der EU.  

Die Finanzierung der Kohäsionspolitik erfolgt aus unterschiedlichen Töpfen: Der Europäische Sozialfonds (ESF) unterstützt im Wesentlichen Beschäftigungs- sowie Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen. Der Europäische Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) sowie der Kohäsionsfonds zielen schwerpunktmäßig aus Infrastrukturprojekte ab und fördern Maßnahmen von Unternehmen, die Arbeitsplätze schaffen und sichern. Die Mittelausstattung wurde im Laufe der Zeit kontinuierlich aufgestockt. Während die Kohäsionsausgaben im Jahr 1976 lediglich 8 Prozent des EU-Haushalts ausmachten, liegen sie aktuell bei rund 33 Prozent.

Neben diesen quantitativen Veränderungen wandelte sich die Strukturförderung auch qualitativ. Förderberechtigt waren zu Beginn nur relativ arme Regionen oder solche, die durch den Strukturwandel betroffen waren. Ab 2007 werden sämtliche Regionen in der EU gefördert mit dem Ziel, Europa "zum wettbewerbsfähigsten und dynamischten wissensbasierten Wirtschaftsraum in der Welt" zu machen, wie es die Lissabon-Agenda propagiert. Konkret betrachtet, "unterstützt sie unterschiedliche Projekte wie Investitionen in eine Strohhalmfabrik in Griechenland, den Bau eines Heimtierkrematoriums in Niedersachsen und die Verbesserung des Vertriebs für textile Liegeware eines norditalienischen Unternehmens" (Julian Dörr, FAZ vom 7. April 2017). Schon solche drastischen Beispiele zeigen die strukturellen Schwächen der derzeitigen Förderpolitik.

Die Entwicklung der EU-Strukturpolitik ist darüberhinaus aus grundsätzlichen Erwägungen problematisch:

  • Eine gemeinsame Wirtschaftspolitik in der EU wird vielerseits gefordert, gehört aber bisher nicht zu ihren Aufgaben. Die weitgehend unbemerkt durchgeführten Wandlungen in der Strukturpolitik lassen sich deshalb als Versuch interpretieren, durch die Hintertür zu einer Ersatz-Wirtschaftspolitik zu kommen, die informell schon Aufgaben einer Wirtschaftsregierung übernimmt.
  • Die Kohäsionspolitik verletzt systematisch das Subsidiaritätsprinzip, wonach die EU nur eingreifen darf, wenn die jeweils unteren Ebenen nicht selbst zu einer vernünftigen Lösung in der Lage sind.
  • Die derzeitige Förderpolitik führt zu absurden Verteilungseffekten. Zum Beispiel erhiel Oberbayern zwischen 2007 und 2013 rund 886 Millionen Euro Strukturmittel, obwohl diese Region überdurchschnittlich wohlhabend ist.

Angesichts der mäßigen Fördererfolge und der Entwicklung zu einer informellen Wirtschaftspolitik ist die Notwendigkeit einer Reform notwendig. Zwei Wege stehen dafür zur Verfügung: Der eine Weg ist die restlose Vergemeinschaftung der Förderpolitik, wodurch die Mitgliedsländer ihre Zuständigkeit verlieren würden. Der zweite Weg ist eine klare Kompetenzverteilung zwischen der EU-Kommission und Mitgliedsländern bei der Mittelvergabe. Julian Dörr plädiert insoweit für einen "Wettbewerb der Regionen" um Fördergelder, an dem nur solche Regionen teilnehmen dürfen, die sich selbst nicht helfen können.

Agrarsubventionen der EU:

Die EU verteilt jährlich Agrarsubventionen von rund 55 Milliarden Euro. Größter Profiteur ist Frankreich (8,2 Milliarden Euro im Jahr 2016). Es folgen Deutschland (6,7), Italien (5,1) und Polen (3,7). Der Großteil der Subventionen entfällt auf die „Flächenprämie“, die sich nach der bewirtschafteten Fläche richtet (rund 290 Euro pro ha).

Nie zuvor in der europäischen Nachkriegsgeschichte war die Lücke größer, die zwischen der Begründung für die Subventionen und der Wirklichkeit klaffte. Als Gründe für die Subventionen gibt der EU-Vertrag von Lissabon an: eine Förderung der technischen Entwicklung, eine Erhöhung der Einkommen der Landbevölkerung, Freisetzung von Arbeitskräften für die Industrie – wie auch die Förderung strukturell benachteiligter Agrarregionen. Dies sind großenteils Argumente, die auf die 1950er Jahre zurückgehen, als Nahrungsmittel knapp waren und das Land rückständig. Doch längst versorgt die europäische Ernährungsindustrie Teile der Welt – oft mit ambivalenten Folgen für die Entwicklungsländer.

Verändert hat sich auch die Landwirtschaft selbst. Die Zahl der Höfe halbiert sich alle 20 bis 25 Jahre. Junge Landwirte wollen kleine und mittelgroße Betriebe kaum übernehmen. Während der Landwirt im Westen Deutschlands im Durchschnitt  etwa 60 Hektar bewirtschaftet, haben die Betriebe im Osten jeweils viele tausend Hektar Fläche. Im ehemals sozialistischen Osten sind Finanzinvestoren die neuen Großgrundbesitzer, die besonders von der Flächenprämie profitieren.

Für die Jahre nach 2020 steht eine Reform der Subventionen für Bauern auf der Agenda der EU. Damit ist der Lobbykampf eröffnet: In Deutschland geht es um die Verteilung  von 6,7 Milliarden Euro. Drei Interessengruppen stehen gegeneinander: bäuerliche Betrieb, Großgrundbesitzer sowie grüne Landwirte. Der Deutsche Bauernverband (DBV), der sich wesentlich auf den Einfluss der ostdeutschen Funktionäre stützt, hat sich bereits festgelegt:  Bloß keine Kappung der Flächenprämien für Großbetriebe. Bloß keine Abschaffung der Direktzahlungen. Bloß keinen Euro weniger für die „Bauern“.

Solche Forderungen finden große Unterstützung, wobei routiniert die „Ost-Karte“ gespielt wird. Man dürfe dem armen Osten nichts nehmen. Die Wähler könnten sich ansonsten radikalisieren. Brandenburgs Finanzminister Christian Görke (Linke) betont, dass „jeder Hektar gleich viel wert ist“. Und der Präsident des Raiffeisenverbandes und frühere Bundestagsabgeordnete Josef Holzenkamp (CDU) sagt, „Unsere 714 als Mehrfamilienbetriebe geführten Agrargenossenschaften dürfen nicht benachteiligt werden. In den strukturschwachen Regionen Ostdeutschlands haben sie eine wichtige wirtschaftliche und soziale Rolle.“

„Die Arbeiter des abgehängten Ostens müssen stets dafür herhalten, wenn Großgrundbesitzer um die Milliarden pokern“, schreibt Jan Grossarth in der FAZ vom 24 März 2018. 

Förderung von Elektroautos:

Ein aktuelles Beispiel für eine falsche Förderpolitik der Bundesregierung ist die mit der Automobilindustrie Anfang 2016 getroffene Vereinbarung, den Absatz von Elektroautos mit einer Prämie von 5.000 Euro zu fördern. Die Bundesregierung hat sich das Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2020 eine Million Elektroautos auf die deutschen Straßen zu bringen. Davon ist man jedoch meilenweit entfernt: Insgesamt gibt es in Deutschland weniger als 30.000 Elektroautos. Der Kunde kauft das Auto nicht, weil es zu teuer und die Reichweite zu klein ist, Ladestationen fehlen und die Aufladung zu lang dauert. Mit einen Wort: Das Elektroauto ist nicht ausgereift und nicht wettbewerbsfähig. Mit der Prämie sollen diese Nachteile für den Käufer des E-Mobils ausgeglichen werden.

Die Pläne der Bundesregierung sind auf Unverständnis gestoßen. Elektroautos sind im Ausland trotz großzügiger Förderung kein Verkaufsschlager. Selbst in den Vereinigten Staaten, der Heimat des Elektropioniers Tesla, sind im Jahr 2015 nur noch 114.000 Batterieautos verkauft worden - und damit 5 Prozent weniger als im Jahr zuvor. Vertreter anderer Branchen wie der Maschinenbau warnten deshalb davor, falsche Anreize zu setzen. "Weder lassen sich Streuverluste und Mitnahmeeffekte vermeiden noch ist die Zielsetzung einer technologischen und preislichen Wettbewerbsfähigkeit der Elektromobilität auf diese Weise zu erreichen", sagte der Hauptgeschäftsführer des Branchenverbandes VDMA, Thilo Brodtmann. Zudem wurde der klimapolitische Nutzen bezweifelt: Das Frauenhofer-Institut hatte ermittelt, dass der CO2-Ausstoß bei der Produktion eines Elektroautos um 60 Prozent höher ist, als bei der Fertigung eines Fahrzeugs mit Verbrennungsmotor. Selbst Wolfgang Schäuble hatte anfangs ordnungspolitische Bedenken: "Es ist nicht die Aufgabe des Staates, beim Absatz von Autos behilflich zu sein."  

Dies alles beeindruckte die Bundesregierung jedoch nicht. Mit ihrem "utopischen" Ziel von einer Million Elektroautos bis 2020 hatte sie sich selbst unter Druck gesetzt. Unterstützung kam von der Partei der "Grünen". Es dauerte deshalb nur drei Wochen, bis auch Wolfgang Schäuble einschwenkte. "Es kann sein, dass wir einen begrenzten Anreiz vereinbaren werden", sagte er. "Es wird nicht in der Größenordnung sein, die ich vor längerer Zeit öffentlich gelegentlich gehört habe."  Protest bekam er jedoch aus der eigenen Fraktion. Für den CDU-Wirtschaftspolitiker Michael Fuchs war die Prämie "so ziemlich das Unsozialste", was er sich vorstellen konnte. "Wer so viel Geld hat, um sich als Privatperson die Anschaffung eines Elektroautos leisten zu können, erhält obendrauf noch 5.000 Euro. Und ökologisch sinnvoll ist das auch nicht." Dann fügte er  hinzu: "Was wir brauchen, sind leistungsfähige Batterien. Solange die nicht am Start sind, bleibt die Elektromobilität ein Spleen für vermögende Ökos."

Trotz solcher Bedenken verständigten sich die Bundesregierung und der Verband der Automobilindustrie (VDA) auf einem "Autogipfel" Ende April 2016 auf ein Konzept zur Förderung der Elektromobilität: Mit einer Prämie von 4.000 Euro sollen der Kauf eines reinen Elektroautos und mit 3.000 Euro Hybridfahrzeuge gefördert werden. Der Listenpreis für die Fahrzeuge darf nicht höher als 60.000 Euro sein. Die Hälfte der Prämie muss die Industrie tragen, wobei die Prämien auf insgesamt 1,2 Milliarden Euro begrenzt sind. Zum Förderprogramm gehört auch der Aufbau von 15.000 neuer Ladestellen, die der Bund mit 300 Millionen Euro unterstützen will. Mit diesen Maßnahmen hofft die Bundesregierung, die Zahl der Elektroautos über die Schwelle von 500.000 zu heben.

Als Grund für die staatliche Förderung nannte Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) anstehende Umwälzungen in der Autobranche. "Das Auto wird jetzt neu erfunden." In Deutschland müsse mehr geforscht und die industrielle Fertigung künftiger Batterien zurückgeholt werden. Ziel sei es, auf dem Heimatmarkt zu zeigen, dass man die Antriebsform beherrsche und "massenmarktfähig" mache. Der Verband der Automobilindustrie begrüßte die Weichenstellung. "Es geht nicht um eine dauerhafte Unterstützung der Elektromobilität, es geht um einen Startimpuls", sagte VDA-Präsident Matthias Wissmann.

Kritik kam aus der Wissenschaft und aus der Wirtschaft. "Die Prämie für E-Autos halte ich für einen schweren Fehler", sagte ifo-Chef Clemens Fuest. "Die 600 Millionen Steuergelder wären besser in der Erforschung und Entwicklung neuer Umwelttechnologien angelegt." Auch der Vorstandschef von Bosch, Volkmar Denner, sprach sich gegen Kaufprämien aus: "Eine Prämie kurbelt kurzfristig die Nachfrage an, aber ist nicht nachhaltig." Wichtiger sei, eine Lade-Infrastruktur aufzubauen, auch die Freigabe von Busspuren für E-Autos könnte ein wirksamer Anreiz sein.

Das Standort-Ranking:

Der Wirtschaftstandort Deutschland verliert deutlich an Attraktivität. Dies zeigt das internationale Ranking der 60 konkurrenzfähigsten Staaten, das das schweizerische IMD World Competitiveness Center in Lausanne seit 1989  jährlich veröffentlicht. Demnach rutschte Deutschland 2016 auf den zwölften Platz ab und gehört damit nicht mehr zu den zehn wettbewerbfähigsten Ländern. Im Jahr 2014 lag Deutschland noch auf Platz sechs. Auffällig ist, dass die Gründe hierfür insbesondere in einer schlechteren Bewertung der Regierungsarbeit liegen.

An der Spitze des Ranking stehen Hongkong, die Schweiz, Singapur und die USA. Den Deutschen stellt das IMD gleich auf mehreren Feldern ein schlechtes Zeugnis aus: So wird der Zustand der hiesigen Straßen, Brücken und anderer Infrastruktur mit Platz 25 noch negativer bewertet als im Vorjahr.  Auch beim Bildungssystem schafft es Deutschland nur auf einen besorgniserregenden 23. Platz. Extrem negativ schlägt die Steuer- und Ausgabenpolitik zu Buche: Hier schafft es die große Koalition nur auf den 52. Platz von 61 untersuchten Ländern. Selbst Frankreich, wo traditionell hohe Steuern zu zahlen sind, wird von den zusätzlich befragten 5400 Unternehmern und Managern besser bewertet, was mit der Komplexität des deutschen Steuerrechts zu erklären ist. Insgesamt werden die politischen Entscheidungen von CDU und SPD negativer bewertet als im Vorjahr. Auch bei der politischen Stabilität ist Deutschland in der Beurteilung des IMD weiter abgerutscht.

Die IMD-Experten bescheinigen Deutschland zwar weiterhin Standortvorteile, wozu die gut ausgebildete Arbeitnehmerschaft, der Mittelstand und die hohe Kreditwürdigkeit des Landes gehören. Positive Entwicklungen gibt es auch bei den Patenten, dem Gründerklima und den öffentlichen Finanzen. Aber generell hat die unternehmerische Effizienz in Deutschland der Studie zufolge nachgelassen. Negativ wirken vor allem die Abgabenlasten der Arbeitnehmer, bei denen Deutschland auf Rang 56 liegt. Zudem bringen die Regulierung des Arbeitsmarktes durch die Regierung und der gesetzliche Mindestlohn schlechte Noten ein. Ebenfalls schlagen sich die höheren  Energiekosten der Industrie bei der Bewertung nieder. Auch Deutschlands Manager sind an der schlechteren Gesamtbeurteilung mitursächlich: mit Rang 55 schneiden sie diesmal noch schlechter ab als vor einem Jahr, was angesichts der Skandale um Volkswagen oder Deutsche Bank kaum verwundert.

Hierzulande überdecken die stabile Binnenkonjunktur und die gute Beschäftigungslage, dass seit einiger Zeit an den Zukunftsinvestitionen gespart wird. Das Ranking spiegelt jedoch neben der momentanen Situation auch die Einschätzung der künftigen Wettbewerbsfähigkeit wieder. Und diese ist nach der Einschätzung des IMD deutlich schwächer geworden, insbesondere hat die Exportstärke der hiesigen Unternehmen abgenommen. "Die größte Gefahr für Deutschland ist Selbstzufriedenheit", sagte IMD-Direktor Arturo Bris. "Wenn es die ablegt, kommt es wieder unter die Top Ten."

Während Deutschland abgestiegen ist, bescheinigt das IMD Osteuropa eine „beeindruckende Performance“: So haben Lettland, die Slowakei und Slowenien ihre Position um jeweils sechs Plätze verbessert. Weltweit können nur die Niederlande und Irland eine derartige Verbesserung vorweisen. In allen Ländern sei die Effizienz des öffentlichen Sektors stark verbessert worden, heißt es in der Analyse. Diese Länder würden die etablierten Volkswirtschaften im Westen deshalb zunehmend herausfordern.

Dies gilt nicht nur für Deutschland, sondern insbesondere für Länder wie Frankreich und Italien, deren Wettbewerbsfähigkeit unter dem starren Arbeitsmarkt, der überbordenden Staatstätigkeit sowie der fehlenden Reformbereitschaft leidet. Frankreich als zweitgrößtes Euro-Landes verharrt  auf dem 32. Platz. Italien als drittgrößtes Euro-Land belegt den 35. Platz. Insoweit erklärt das Standort-Ranking des IMD auch, warum das Euro-Währungsgebiet insgesamt nicht besonders wettbewerbsfähig ist. 

   





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