50 Jahre MIT (29. April 2006)

Datum 21.12.2015 15:20 | Thema: 

50 Jahre MIT II

(am 29. April 2006 auf dem "Petersberg")

Meine sehr geschätzten Damen und Herren, verehrte Gäste, liebe Freunde und Mitglieder der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung, "Renaissance der Sozialen Marktwirtschaft" haben wir unsere Festveranstaltung aus Anlass des 50-jährigen Bestehens unserer Vereinigung überschrieben. Und wir wollen uns diesem Thema aus verschiedenen Richtungen und in unterschiedlicher Weise nähern. In jedem Fall wird der Vater der Sozialen Marktwirtschaft und des frühen deutschen Wirtschaftswunders, der am 5. Mai 1977 im nahegelegenen Bonn einem Herzversagen erlag, heute allgegenwärtig sein.


Denn ohne das Ergebnis dieser Tagung und der beiden Panels vorwegnehmen zu wollen, sind wir wohl darin einig, dass die Ideen Ludwig Erhards und seines geistigen Umfelds uns sehr wohl Wege aus der gegenwärtigen Krise weisen können. Vor allem möchten wir mit dieser Tagung einen bescheidenen Beitrag dazu leisten, das marktwirtschaftliche Gedankengut mit neuem Leben zu erfüllen, es aus dem Elfenbeinturm der Wissenschaft, der Seminare und Stiftungen zu befreien.

Denn während es dort noch sehr lebendig ist, ebenso wie nach meinem Eindruck auch in vielen Redaktionsstuben, scheint es in der politischen Praxis weitgehend verschollen zu sein. Was uns besonders betrübt: An den Schulen ist Erhard gänzlich in Vergessenheit geraten. Darum freuen wir uns über die vielversprechenden programmatischen Ansätze in der heutigen jungen Union, mit uns und anderen an der "Renaissance der Sozialen Marktwirtschaft" zu arbeiten. Gerade die Union sollte sich von niemandem innerhalb und außerhalb der Politik in der Gralshüterschaft des Erbes Ludwigs Erhards übertrumpfen lassen. Marktwirtschaft und christliches Menschenbild korrespondieren miteinander. Sie sind ein Schatz der Union, der wohl gehütete sein will.

Ich hatte schon gestern Abend Gelegenheit, mich für das große Interesse zu bedanken, das unsere in eine Fachtagung verpackte Geburtstagsfeier gefunden hat. Dabei haben wir auch ein wenig Rückblick gehalten und uns selbst gebührend gefeiert. Heute folgt nun der zweite Teil unseres Jubiläums.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Ludwig Erhard hat in seinem biographischen Abriss über die Deutschen folgendes gesagt: "So Erstaunliches das deutsche Volk mit letzter Hingabe geleistet hat, droht ihm mit zunehmendem Wohlstand und sozialer Sicherheit immer wieder das Gefühl für das rechte Maß, für Besinnung und Verantwortung verloren zu gehen. Es scheint nur allzu leicht geneigt, der seichten Verführung der Gruppen zu erliegen, deren Funktionäre um des Nachweises ihrer eigenen Existenzberechtigung willen den Wahn der Unzufriedenheit und des Unbehagens nähren; sie stören durch eine ständige Überforderung der Volkswirtschaft nicht nur deren inneres, sinnvolles Gefüge, sondern sie gefährden am Ende ihre Leistungskraft selbst."

Ludwig Erhard erkannte schon früh, welche Gefahren der von ihm eingeführten marktwirtschaftlichen Ordnung drohten: Es waren der "Wohlstand für alle" und die sich daraus ergebenden sozialen Folgen. Er warnte vor den Übertreibungen der Umverteilung und insbesondere vor dem Abgleiten in den Wohlfahrtsstaat. Erhard war kein Marktradikaler, sondern sehr wohl auf den sozialen Ausgleich bedacht. Er wollte aber solchen Menschen helfen, die wirklich in Not waren.

Erhards hochaktuelle Warnung dazu möchte ich Ihnen nicht vorenthalten: "Wenn das Sicherheits- und Rentendenken alle Schichten und Berufszweige erfasst haben wird, das heißt, wenn jeder für jeden steuert, dann wird die Einsicht vu spät kommen, dass man damit die gesellschaftliche Ordnung zerstört und dabei niemand etwas gewonnen hat. Das Ende ist die staatliche Zwangsversorgung und der Untergang eines Volkes in der fragwürdigen Harmonie wachsender Armut." In Bezug auf die gegenwärtige Situation (2005) sind diese Zeilen durchaus visionären. Aber es ist eben nicht die Soziale Marktwirtschaft, die uns in diese Sackgasse geführt hat, sondern letztlich deren Überfrachtung und Überdehnung - ja, man kann sogar sagen deren Pervertierung.

Unsere heutige, real existierende Wirtschaftsordnung hat mit dem ursprünglichen Konzept der Sozialen Marktwirtschaft nur noch sehr wenig gemein. Lassen Sie mich das an einigen Beispielen verdeutlichen. Es hat mit Sozialer Marktwirtschaft nur wenig zu tun,

  • wenn 41 % der wahlberechtigten Bürger ihr hauptsächliches Einkommen aus staatlichen Transfers beziehen,
  • wenn 26 Millionen Beschäftigte das soziale Netz für 80 Millionen finanzieren,
  • wenn Beitragszahler niedrigere Abgaben forden, aber möglichst alle Lebensrisiken abgedeckt sein sollen,
  • wenn der Abbau von Bürokratie gefordert wird, aber der Staat gleichzeitig für alles verantwortlich gemacht wird.

Der von Erhard so gefürchtete Wohlfahrtsstaat ist längst Realität. Er ist der "Moloch", der den Wohlstand gefährdet, der die Anspruchs- und Vollkaskomentalität fördert und der seine Bürger in letzter Konsequenz entmündigt. Schuld an dieser Entwicklung sind unzählige schlimme Verstöße gegen Geist und Gesetze der Sozialen Marktwirtschaft. Sie sind mitverantwortlich dafür, dass die Zustimmung für dieses Wirtschaftssystem in der Bevölkerung sinkt.

Während in der Volksrepublik China das Ansehen der Marktwirtschaft weltweit am höchsten ist, entziehen die Menschen in Mitteleuropa und vor allem in Deutschland den Erhard´schen Ideen zunehmend das Vertrauen. Der Grund: Sie schreiben der Marktwirtschaft die Fehlleistungen des ins Kraut geschossenen Wohlfahrtsstaates zu. Daran aber trägt die Marktwirtschaft keine Schuld. Es ist die Schuld derer, die das System verfremdet und über Jahre diskreditiert haben.

Wir müssen uns aber auch fragen, ob nicht die Wirtschaft selbst für die sinkende Akzeptanz der Sozialen Marktwirtschaft mitverantwortlich ist. Was unser Bundespräsident Horst Köhler vor wenigen Monaten auf einem Wirtschaftsforum gesagt hat, kann ich nur unterstreichen: "Die Welt des erfolgreichen Unternehmers dreht sich zuallererst um seine Kunden. Ihre Wünsche muss er erfüllen - und zwar besser und schneller als die Konkurrenz. Nur so kann er sich und die Arbeitsplätze der Firma dauerhaft im Wettbewerb halten. Dieser Wettbewerb ist die Lebenswirklichkeit, in die alles unternehmerische Handeln eingebettet ist." Von einer "Pflicht zur Schaffung von Arbeitsplätzen" hat der Volkswirt Horst Köhler übrigens nichts gesagt ...

Freiheit ist aber nicht nur ein individuelles Recht, sondern bedarf der gesellschaftlichen Legitimation. In einer Zeit, in der viele Menschen reale Einkommenseinbußen hinnehmen müssen oder ihren Arbeitsplatz verlieren, kann und muss man von der Unternehmens-Elite dieses Landes verlangen, dass sie ihrer Verantwortung und Vorbildfunktion gerecht wird. Wer von seinen Mitarbeitern Opfer fordert, der darf sich nicht gleichzeitig die eigenen Taschen voll stopfen. Wer den Profit steigern will, indem er Mitarbeiter entläßt, versündigt sich gegen den Geist der Sozialen Marktwirtschaft. Es ist deshalb höchste Zeit, dass wir uns mit den Aufgaben und dem Bild des Unternehmers in der Sozialen Marktwirtschaft auseinandersetzen.

Die Freiheit des Marktes mit sozialem Ausgleich - das war das Credo Ludwig Erhards. Er vertraute dem Bürger und er traute ihm auch etwas zu: Eigeninitiative, Selbstverantwortung und Leistungswillen. Prinzipientreue und Standhaftigkeit zeichneten Erhard aus. Vielleicht war es sein Glück, dass ihm die Verlockungen der heutigen Demoskopie noch nicht zur Verfügung standen. Politik darf nicht so verfahren, wie es der einstige französische Außenminister Talleyrand einmal formuliert hat: "Da vorne läuft mein Volk, ich muss ihm nach, schließlich bin ich sein Führer."

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Ausgangslage in den Nachkriegsjahren unterscheidet sich fundamental von den heutigen Verhältnissen. Man kann deshalb die Mentalität der Aufbaugeneration nicht zum Maßstab für ihre Kinder und Enkel machen. Ich bin aber davon überzeugt, dass es bestimmte Einsichten und Grundregeln gibt, die sich nicht ändern dürfen, wenn wir an einer freiheitlichen und funktionierenden  Wirtschafsordnung festhalten wollen. Dazu gehören insbesondere die von dem Freiburger Kreis um Walter Eucken und Franz Böhm  formulierten Grundprinzipien:

  • Die Steuerung des Wirtschaftsverkehrs durch freie und offene Märkte.
  • Die Sicherung des Wettbewerbs mit Hilfe einer unabhängigen Kartellbehörde.
  • Eine unabhängige Notenbank zur Sicherung der Geldwertstabilität.
  • Eine staatliche Sozialpolitik zur Korrektur der Einkommensverteilung.  

Eine Rückbesinnung auf diese Ausgangspositionen und deren zeitgemäße Anwendung könnte uns heute helfen. Wir müssen wieder aufschließen zur Spitzengruppe unter den Nationen Europas, und wir wissen, dass sich unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel, die nachher zu uns sprechen wird, dies auch fest vorgenommen hat. Wer, wenn nicht sie, und wann, wenn nicht jetzt?

Wir schaffen es nicht mit Konjunkturprogrammen, nicht mit Industriepolitik und Verbändewirtschaft, nicht mit Anspruchsdenken und Umverteilung, nicht mit Abschottung und Steuerquoten, sondern einzig und allein mit der Bereitschaft zu marktwirtschaftlichen Reformen. Mit Freiheit, Selbständigkeit, Eigentum und Wettbewerb. 

Was wir uns als Deutsche vor 50 Jahren mühsam erarbeitet haben, sollten wir heute nicht leichtfertig aufs Spiel setzen. Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren. Wir appellieren an den Staat,

  • den Bürgern ihre Eigenverantwortung und Selbstbestimmung zurückzugeben,
  • den Unternehmen mehr Freiheit zur Entfaltung ihrer Kreativität einzuräumen,
  • den Arbeitnehmern die Möglichkeit zu geben, ihr Verhältnis zu den Arbeitgebern frei von den korporatistischen Zwängen selbst zu regeln,
  • sich auf die Kernaufgaben zu konzentrieren, damit die Soziale Marktwirtschaft eine zweite Chance erhält.

Eine so verstandene ordnungspolitische Erneuerung wird die marktwirtschaftlichen Kräfte stärken und damit auch dem Mittelstand eine gedeihliche Zukunft geben. Ludwig Erhard hat in seinem Mittelstandsbrief vom November 1957 geschrieben: "Der Mittelstand wird so lange bestehen, als wir bereit sind, unser eigenes Leben individuell zu gestalten, und er selbst dazu bereit ist, für seine Freiheit einzutreten." Das sollte unsere Handlungsmaaxime sein!

  

   





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