Europäische Bankenunion

Datum 22.02.2016 16:40 | Thema: 

Europäische Bankenunion


Die Europäische Bankenunion ist die Reaktion der Europäischen Union (EU) auf  die Finanzkrise, die mit dem Zusammenbruch von Lehman Brothers im Herbst 2008 begann. Ihr Ziel ist es, das Vertrauen in die Banken durch eine strengere Aufsicht wiederherzustellen, Rettungsaktionen auf Kosten des Steuerzahlers zukünftig zu vermeiden und die Einlagensicherung auf europäischer Ebene solidarisch zu regeln.

Hierzu soll das Regelwerk der Währungsunion um die folgenden drei Elemente ergänzt werden:

• Für Großbanken in der Eurozone wurde eine zentrale Bankenaufsicht durch die Europäische Zentralbank (EZB) eingeführt.
• Die Restrukturierung oder Abwicklung notleidender Großbanken erfolgt durch eine zentrale Abwicklungsbehörde in Brüssel, der dafür zukünftig ein gemeinschaftlicher Fonds zur Verfügung steht.
• Außerdem schlägt die EU-Kommission vor, im Euroraum ab 2017 eine gemeinsame Einlagensicherung zu schaffen, um Sparer und Einleger im Fall von Bankenkrisen zu schützen.

Ob die Bankenunion die in sie gesetzten Erwartungen erfüllen kann, ist Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen.


Zentrale Bankenaufsicht

Als anfängliche Pläne der EU-Kommission für eine zentrale Bankenaufsicht nach Ausbruch der Finanzkrise scheiterten, weil die EU-Mitgliedsstaaten ihre nationalen Kompetenzen nicht abgeben wollten, verständigte man sich zunächst auf ein Europäisches Finanzaufsichtssystem, das einheitliche Standard für die nationale Überwachung der verschiedenen Finanzbranchen entwickeln sollte. Auf dieser Grundlage entstanden die drei Europäischen Finanzaufsichtsbehörden für das Bankwesen (EBA), das Versicherungswesen (EIOPA) und das Wertpapierwesen (ESMA). Im weiteren Verlauf der Krise erwies sich aber dieses System als nicht ausreichend. Insbesondere die Staatsschuldenkrise in Zypern zeigte, dass die nationale Bankenaufsicht nur unzureichend funktionierte.

Daraufhin erneuerte die EU-Kommission ihren Vorschlag für eine zentrale Bankenaufsicht und forderte, die größten Banken aus allen 28 Mitgliedstaaten unter die Aufsicht einer europäischen Behörde zu stellen. Diese Pläne stießen vor allem in Deutschland und Großbritannien auf Ablehnung. Weil jedoch Eile geboten war, folgte man schließlich dem Vorschlag der Kommission, der EZB  künftig die Aufsicht über alle Banken zu übertragen, deren Bilanzsumme 30 Milliarden Euro übersteigt. Als auch Finanzminister Wolfgang Schäuble zustimmte, wurde am 4. November 2014 unter dem Dach der Europäischn Zentralbank der "einheitliche europäische Aufsichtsmechanismus" (Single Supervisory Mechanism SSM) gegründet.

Unter dieses Aufsichtssystem fallen etwa 120 der insgesamt 6.000 Banken in der Eurozone. Der Rest soll weiterhin von den nationalen Aufsichtsbehörden überwacht werden, was ein zentrales Anliegen der deutschen Regierung war: In Deutschland sind somit insbesondere die Sparkassen und Volksbanken von der zentralen Kontrolle ausgenommen.

Die Ansiedlung der europäischen Bankenaufsicht bei der EZB war wegen der möglichen Konflikte zwischen Geldpolitik und Bankenaufsicht umstritten. Solche Konflikte ergeben sich zwangsläufig bei einer Politik des billigen Geldes, mit der unterkapitalisierte Banken (sog. Zombiebanken) künstlich am Leben gehalten und den gesunden Banken die für die Kapitalbildung erforderlichen Zinserträge genommen werden. Eine solche Poltik konterkariert das Ziel der Bankenaufsicht, das Eigenkapital der Banken mit Hilfe regulatorischer Vorgaben zu verbessern und unterkapitalisierte Banken zum Schutz der Finanzmärkte gegebenenfalls abzuwickeln. 

Wolfgang Schäuble äußert sich inzwischen skeptisch über die Doppelfunktion der EZB als Notenbank und Aufsichtsbehörde: "Ich sehe die ´Chinese Walls´ nicht zwischen Bankenaufsicht und EZB". Seine damalige Entscheidung rechtfertigte er damit, dass alle anderen Lösungen eine einstimmige Änderung der EU-Verträge erfordert hätten.

Bankenstresstest:

Wie notwendig es gewesen wäre, die Aufsicht komplett von der Geldpolitik zu trennen, zeigt insbesondere der von der EZB im Jahr 2014 durchgeführte Stresstest. Zweck dieses Stresstestes war es, die Krisenfestigkeit der von der EZB beaufsichtigten Großbanken zu prüfen. Insgesamt fielen dabei 25 Banken durch. Zwölf dieser Institute - darunter die Münchener Hypothekenbank – hatten ihr Eigenkapital allerdings schon während der Testphase aufgebessert, so dass tatsächlich nur 13 Institute als gefährdet galten. Ihnen fehlten insgesamt nur zehn Milliarden Euro, teilte die EZB mit, was viele Fachleute als viel zu niedrig ansahen. Auch die als besonders gefährdet angesehene HSH Nordbank  bestand den Test. Bei den durchgefallenen Banken handelte es sich jeweils um eine Bank aus Frankreich, Österreich, Irland, Portugal und Zypern,  um jeweils zwei Banken aus Griechenland und Slowenien sowie um vier Banken aus Italien.

EZB-Vizepräsident Vitor Constancio zeigte sich gleichwohl mit dem Test zufrieden. „Diese noch nie dagewesene tiefgreifende Prüfung der Bilanzen wird das Vertrauen der Öffentlichkeit in den Bankensektor stärken. Das sollte dazu beitragen, dass die Banken wieder mehr Kredite vergeben und so der Konjunktur helfen.“  Demgegenüber sagte der Präsident des Münchener Ifo-Instituts Hans-Werner Sinn, die Tests würden ihre Aufgabe nicht erfüllen: „Akkurate Stresstests würden zeigen, dass viele Banken noch gewaltige stille Lasten tragen.“

Die Zweifel wurden bestätigt, als die Aktienkurse verschiedener Großbanken Anfang 2016 erheblich unter Druck gerieten. Politiker und Bankenvertreter stellten daraufhin nicht nur die Aussagekraft der Stresstests infrage, sondern warfen der EZB als Aufsichtsbehörde vor, es versäumt zu haben, die Banken krisenfest zu machen. Statt Vertrauen zu schaffen, sei eine Vertrauenskrise entstanden. Clemens Fuest, Präsident des ZEW, sagte, die große Bilanzprüfung der EZB habe ihre Ziele verfehlt. Insbesondere die vielen ausfallgefährdeten Kredite italienischer Banken seien ein Beleg dafür, dass die Bankenaufseher der EZB nicht genug getan hätten.

Faule Kredite:

Auf 990 Milliarden Euro, rund eine Billion, summiert sich der Berg der faulen Bankkredite in Europa, hat die EU-Kommission in einem Bericht "Non Performing Loans" im Sommer 2017 festgestellt. Im europäischen Durchschnitt sind 6 Prozent aller Kredite "zahlungsgestört", doch gibt es große Unterschiede: In Griechenland sind 45 Prozent und in Itallien 15 Prozent aller Kredite faul.

Die Masse der faulen Kredite ist besorgniserregend: Zum einen belasten sie die Profitabilität der Banken, zum anderen hemmen sie die Neukreditvergabe und bremsen so die wirtschaftliche Erholung. EZB-Präsident Mario Draghi hat deshalb dazu aufgerufen, die Problemkredite entschlossen abzubauen. Die Aufsicht der EZB hat zu diesem Zweck ein Regelwerk für die Behandlung fauler Kredite veröffentlicht, das zum 1. Januar 2018 in Kraft treten sollte. Vor allem in Draghis Heimatland Italien leiden die Banken unter hohen Lasten aus Problemkrediten von insgesamt 250 Milliarden Euro. Ihnen empfahl Draghi, sich von den faulen Krediten zügig, notfalls durch Verkauf, zu trennen.

Prompt kam Widerstand aus Italien. Auf die Forderung Draghis nach mehr Eile antwortete Italiens Finanzminister Pier Carlo Padoan, das Vorhaben der EZB-Aufsicht überschreite die Grenzen der Aufsicht. Sein und auch andere Länder beanspruchten für die Lösung mehr Zeit. Diesem Druck gegen die neuen Regeln konnte die EZB nicht standhalten. Ende November 2017 teilte die oberste EZB-Bankenaufseherin Danièle Nouy mit, die Einführung werden sich verzögern. "Es werden wahrscheinlich einige zusätzliche Monate nötig werden", sagte die Französin.

Im März 2018 gab die EZB dann die beabsichtigten Maßnahmen gegen "faule Kredite" bekannt, die als Grundlage für die Diskussion mit den Banken dienen sollen, aber nicht verbindlich sind. Erst ab 2021 werden die Aufseher "berücksichtigen", ob die Banken für unbesicherte notleidende Kredite nach zwei Jahren eine Rückstellung in voller Höhe gebildet haben. Für besicherte Forderungen haben sie acht Jahre Zeit. Damit ist Draghi den Bedenken seiner Landsleute gefolgt. Diese Entscheidung hat Bedeutung für die Einführung einer europäischen Einlagensicherung, die die Bundesregierung davon abhängig macht, dass die faulen Altkredite reduziert werden.

Nach dem Urteil der Wirtschaftsweisen Isabel Schnabel helfen die neuen Regeln nicht für den Abbau der faulen Kredite. Das Problem der hohen Altlasten müsse entschiedener angegangen werden. Da die neuen Vorschläge unverbindlich sind, setzt Schnabel stärker auf die Vorgaben der EU-Kommission, die in nationale Gesetze überfürt werden sollen. Hier müssen die Banken nach drei Jahren unbesicherte Kredite vollständig abdecken ud besicherte Darlehn nach acht Jahren.   

Abwicklungsrichtlinie

Im Zuge der seit 2007 andauernden Finanzkrise wurden wiederholt in Schieflage geratene Kreditinstitute unter Einsatz öffentlicher Mittel gerettet (Bail-out). Das sollte sich nicht wiederholen, war die Lehre, die die EU daraus zog:  In Zukunft sollten für Bankenpleiten nicht die Steuerzahler, sondern in erster Linie die Aktionäre und Gläubiger haften (Bail-in), und der Staat sollte außen vor bleiben. Dazu wurde mit zwei Gesetzgebungsprojekten die Bankenabwicklungsrichtlinie (BRRD) geschaffen, die seit Anfang 2016 in Kraft ist:

• Zum einen eine für alle EU-Mitgliedstaaten geltende Abwicklungsrichtlinie, die die Sanierungs- und Abwicklungsinstrumente europaweit harmonisiert, ihre Anwendung aber nationalen Abwicklungsbehörden überlässt (in Deutschland die Bundesanstalt für Finanzmarktstabilisierung).
• Zum anderen eine für alle Großbanken, die der Aufsicht der EZB unterliegen, geltende Abwicklungsrichtlinie mit einer europäischen  Abwicklungsbehörde sowie einem einheitlichen Abwicklungsfonds, der über acht Jahre sukzessive aufgefüllt werden soll.

Ein Kernelement der Abwicklungsrichtlinie sind die Bail-in Bestimmungen. Diese sehen vor, dass neben dem Verlust des Eigenkapitals mindestens acht Prozent bestimmter Bankverbindlichkeiten abgeschrieben oder in Eigenkapital gewandelt werden müssen, bevor öffentliche Mittel zur Sanierung oder Abwicklung eingesetzt werden können. Einlagen, die der Einlagensicherung unterliegen (100.000 Euro) sind dabei vom Bail-in ausgeschlossen wie auch eine Reihe weiterer Verbindlichkeiten (besicherte Verbindlichkeiten, gewisse Interbankeninstrumente etc). Die Regeln traten zu Beginn des Jahres 2016 in Kraft.

Abweichend von diesem Regelwerk wurde in den bisherigen Bail-in-Fällen weitgehend willkürlich entschieden:

• In der Zypernkrise (März 2013) wurde die Hilfe der EU-Staaten daran gekoppelt, dass die Forderungen von Anleger mit Einlagen über 100.000 Euro um einen Teil von bis zu 50 Prozent gekürzt wurden. Die Maßnahme beruhte nicht auf einem Gesetz, sondern auf einer Vereinbarung zwischen der EU und Zypern.
•  Auch bei den Bemühungen um eine Rettung der Banco Espirito Santo in Portugal 2014 sowie einiger kleiner Genossenschaften in Italien 2015 wurden  nachrangige Anleihen im Rahmen eines Bail-in Verfahrens an den Verlusten beteiligt.
• Demgegenüber wurden 2015 in Griechenland die vier großen Banken noch vor dem Inkrafttreten der Bail-in-Regeln zum Jahreswechsel mit europäischen Steuergeldern rekapitalisiert -  mit dem erklärten Ziel, Geschäftkunden der Banken zu schonen, die flugs ihr Geld ins Ausland transferierten.
• Bei der Abwicklung der österreichischen Skandalbank Hypo Alpe Adria wiederum sollen Anleihegläubiger, darunter viele deutsche Geldhäuser,  herangezogen werden.
• Im Fall der portugiesischen Novo Banco, die aus der gescheiterten Banco Espirito Santo hervorgegangen ist, blieben die inländischen Investoren ungeschoren, während ausländische Großinvestoren von der portugiesischen Zentralbank mit fast zwei Milliarden Euro zur Kasse gebeten wurden. Dies geschah, bevor die bereits verabschiedeten Abwicklungsregeln formal in Kraft traten.

Vor allem der Fall der portugiesischen Novo Banco wirbelte erheblichen Staub auf. Ein Investor, der eine stolze Summe verloren hatte, schrieb: „Man muss sich doch auf Börsenprospekte und Regeln verlassen können, sonst funktioniert der ganze Kapitalmarkt nicht mehr.“ Was die Investoren vor allem erschreckte, war die Erfahrung, dass die Bail-in-Fälle allesamt nicht gemäß den neuen Regeln, sondern nach Belieben abgewickelt wurden. „Die Restrukturierung von Banken ist in Europa nach wie vor unberechenbar“, sagte Jochen Felsenheimer, Mitglied beim Vermögensverwalter Xaia. Dadurch breitete sich Misstrauen aus und die Kurse von Aktien und Anleihen europäischer Geldhäuser stürzten ins Bodenlose. Milliardenwerte wurden so binnen Wochen vernichtet. 

Die Politiker befinden sich in der Klemme. Das „Prinzip, dass wir in Zukunft, wenn Banken in Schwierigkeiten geraten, nicht die Steuerzahler in erster Linie bezahlen lassen“,  sollte ein Schritt zu mehr Gerechtigkeit sein, wie Wolfgang Schäuble sagte. Der Auftakt für das neue Haftungsregime findet jedoch in  einem für die Banken äußerst schwierigen Umfeld statt: In vielen Bankbilanzen stecken noch faule Kredite, allein in Italien sind es 200 Milliarden Euro, bei denen die Rückzahlung höchst unwahrscheinlich ist. Weitere Kreditausfälle drohen angesichts einer sich abkühlenden Weltkonjunktur. Zudem schrumpfen die Gewinne der Banken aufgrund der geringen Zinsmargen und der ständig steigenden Regulierungskosten. „Wenn dann ein Gläubiger noch sieht, dass er wie in Portugal weitgehend willkürlich enteignet wird, dann ist das eine fatale Situation“, sagte Jochen Felsenheimer. „Diese Aktion belastet den ganzen europäischen Finanzsektor.“

Damit scheint sich eine Warnung zu bewahrheiten, die zwei Wissenschaftler (Charles Goodhart und Emilios Avgouleas) Anfang 2015 bei einer Konferenz der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) formulierten:  „Gläubigerbeteiligung habe zwar durchaus ihre Vorteile, sie reduziere etwa die Gefahr, dass sich private Investoren einfach blind auf staatliche Stütze im Krisenfall verlassen. Doch gleichzeitig erhöhe sich das Risiko von Ansteckungseffekten, sobald eine Bank kippt.“ (Anne Kunz in FAS vom 21. Februar 2016) Die Folgen sind schwerwiegend: Bankanleihen gelten plötzlich als Risikopapiere, die Preise für Kreditausfallversicherungen, sogenannte CDS, schießen in die Höhe, und die Refinanzierungsmöglichkeiten von Banken verschlechtern sich. 

Peter Bofinger, Mitglied des Sachverständigenrates, geht noch weiter. Er hält es grundsätzlich für falsch, neben Anleihengläubiger auch Kundeneinlagen über 100.000 Euro zur Sanierung einer Bank einzusetzen. „Bankeinlagen müssen absolut sicher sein, Die Grenze von 100.000 Euro ist viel zu niedrig“, gibt er zu bedenken. Schließlich hätten viele Unternehmen mehrere Millionen Euro auf dem Konto. Sichere Einlagen hält Bofinger ebenso für einen Grundpfeiler des Finanzsystems wie einen Staat, der nicht pleitegehen kann.

Unterstützung bekam Peter Bofinger Anfang 2016 von den Ko-Chefs der Deutschen Bank, John Cryan und Jürgen Fitschen, die die Bundesregierung als Mitverursacher für das Mißtrauen sehen, das ihrem Institut am Kapitalmarkt entgegenschlägt. Sie kritisierten das Gesetz, mit dem die neuen Haftungsregeln für Anleihegläubiger von Banken umgesetzt wurden. Die Ratingagenturen stuften solche Titel nun riskanter ein, was bei der Deutschen Bank zu deutlichen Kursverlusten der Anleihen und Aktien gefüht habe. Die Bundesregierung "hat zwar damit das Problem des Haftungskapitals gelöst, aber andere Probleme geschaffen", monierte Cryan.

Die britischen Ökonomen Goodhart und Avgouleas schlagen deshalb eine differenzierte Lösung vor: Wenn eine einzelne Bank aufgrund eigener Fehler in eine Schieflage gerate, sei eine Gläubigerbeteiligung die richtige Antwort. Nicht aber bei einer systemischen Krise, die viele Banken betreffe. Hier halten sie es für das kleinere Übel, wenn der Steuerzahler einspringt. Doch wo beginnt die Systemkrise? Möglicherweise „droht am Ende die schlechteste aller Welten: Die neuen Bail-in-Regeln verfehlen das Ziel, den Steuerzahler wirksam zu schützen. Und dennoch sind die Investoren in Panik, sie ziehen ihr Geld womöglich umso schneller ab, wenn eine Bank ins Trudeln gerät.“ (Anne Kunz a.a.O.)

Es gibt deshalb politische Bestrebungen, die Bail-in-Regeln zu modifizieren oder sogar aufzuheben. Die Gläubigerbeteiligung ist vor allem für Italien brisant, weil viele Bürger dort Aktien und Anleihen ihrer Hausbank im Portfolio halten. Ministerpräsident Matteo Renzi pochte deshalb darauf, das Bail-in-Regime abzuschwächen. Unterstützung erhielt er von Notenbankpräsident Ignazio Visco, der äußerte, die Bail-in-Regeln seien zu schnell eingeführt worden. Das berge Gefahren: „Eine schrittweise, weniger abrupte Einführung wäre besser gewesen.“

Schon beim ersten Ernstfall, der Rettung der toskanischen  Bank Monte dei Paschi, zeigte sich, wie brüchig die neue Regelung war. Für den italienischen Ministerpräsidenten Matteo Renzi war es offenbar einfacher, die Bank mit Staatsgeld zu stützen, als sich den Zorn italienischer Kleinsparer zuzuziehen - und deshalb versuchte er, dafür in Brüssel eine Sonderbehandlung auszuhandeln. Mit Erfolg: Die EU-Kommission fand ein Schlupfloch, das ein solches Vorgehen erlaubt. Danach ist eine "vorsorgliche" staatliche Kapitalhilfe für solche Banken erlaubt, die - so die feinsinnige Unterscheidung - zwar in einem Stresstest unterkapitalisiert, aber mittelfristig solvent sind. Das Bail-in-Prinzip für die Bankenabwicklung ist offenbar so viel wert wie das No-Bail-out-Prinzip bei der Rettung überschuldeter Staaten: wenig bis nichts.

In Deutschland gab es Widerstand gegen eine solche Verwässerung des Bail-in-Prinzips. "Ich lehne es vehement ab, Banken in der EU jetzt erneut - rund acht Jahre nach der Finanzkrise - mit Staatsgeldern zu unterstützen oder gar zu retten", sagte Michael Fuchs (CDU). Die EU-Kommission dürfe das der italienischen Regierung nicht durchgehen lassen. Banken stünden in der EU im Wettbewerb. Sie müßten gegebenenfalls schwierige Zeiten und Kreditausfälle ohne Hilfe vom Steuerzahler aushalten. "Wer das nicht kann oder will, muss im Notfall, wenn es gar nicht anders geht, vom Markt verschwinden", meinte Fuchs. Das deutsche Bundesfinanzministerium hielt sich in der Diskussion um mögliche Hilfen für italienische Banken zurück. Als Grund wurde angegeben, es handele sich nicht um deutsche, sondern um europäische Regeln. Clemens Fuest, Chef des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung, warnte: "Wenn man jetzt die Regeln bricht, verliert die Bankenunion jegliche Glaubwürdigkeit."

Dass in Italien anders gedacht wird, zeigt der Fall der Bank Monte dei Paschi di Siena (MPS), die im Juni 2017 mit Staatsgeld gerettet wurde. Auch die Regionalbanken Banca Popolare di Vicenza und Veneto Banca sollen außerhalb der Bankenabwicklungsrichtlinie (BRRD) abgewickelt werden. Konkret ist vorgesehen, dass die zweitgrößte Bank des Landes, Intesa Sanpaolo, die überlebensfähigen Teile der beiden Krisenbanken übernimmt, und zwar zum symbolischen Preis von einem Euro. Die faulen Kredite der beiden Regionalbanken von 18 Mrd. Euro werden in eine sogenannte Bad Bank ausgegliedert, natürlich auf Staatskosten. Die EU-Kommission hat diese Staatshilfe bereits genehmigt.  

Deutsche Europaabgeordnete kritisierten diese Entscheidung scharf. Der Parlamentarier Sven Giegold sprach von einer "empörenden Umgehung der Regeln der Bankenunion". Es handele sich um eine "politisch getriebene" Fehlentscheidung der EU-Behörde. "Wie schon beim Stabilitäts- und Wachstumspakt droht nun auch die Unglaubwürdigkeit der EU-Regeln der Bankenunion." Giegold warf Kommissionschef Jean-Claude Juncker indirekt vor, politischen Druck ausgeübt zu haben. Die "Angst vor den politischen Folgen der Gläubigerhaftung in Italien" habe "jede wirtschaftliche Vernunft" überwogen. Und der CSU-Abgeordnete Markus Ferber fügte hinzu, die Kommission geleite "die Bankenunion zum Sterbebett". Das Bail-in-Versprechen sei nunmehr "ein für alle Mal hinfällig".   

 Einlagensicherung

Eine gemeinsame Einlagensicherung soll die dritte Säule der Europäischen Bankenunion werden. Sie ist umstritten, weil sie automatisch zu einer Vergemeinschaftung von Bankverlusten führt. Derzeit existiert auf europäischer Ebene nur die Einlagensicherungsrichtlinie, die für die nationalen Einlagensicherungssysteme einheitliche Standards festlegt. Danach sind Einlagen bis zu 100.000 Euro überall gesetzlich geschützt. 

Im November 2016 veröffentlichte die EU-Kommission jedoch konkrete Pläne für ein europäisches Einlagensicherungssystem, dessen Ziel es sein soll, durch mehr Solidarität die Bankenunion zu stabilisieren. Die Pläne sehen folgendes vor:

• Von 2017 an soll ein den ganzen Euroraum abdeckender Einlagensicherungsfonds eingerichtet werden. Er soll bis 2024 voll gefüllt sein und nach und nach die nationalen Sicherungssysteme ablösen.
•  In den Fonds sollen die Banken grundsätzlich 0,8 Prozent der gesicherten Einlagen einzahlen, wobei eine gewisse Risikogewichtung greift. Angestrebt ist ein Gesamtbetrag von 45 Milliarden Euro. 
• Der entscheidende Punkt ist die Vergemeinschaftung der bisher nationalen Fonds. Sie bedeutet, dass beispielsweise die Mittel aus der deutschen Einlagensicherung auch zur Rettung von Einlagen in anderen Ländern benutzt werden können.
• Eine Ausnahme für die deutschen Sparkassen und Volksbanken ist - anders als EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ursprünglich behauptete – nicht vorgesehen. Auch sie müssen in den europäischen Topf einzahlen. Sie können aber ihre eigenen Einlagensicherungssysteme (Institutssicherung) beibehalten, soweit sie über das europäische Recht hinausgehen.

Wenn dieser Vorschlag umgesetzt wird, regelt sich die Haftung bei einem Bankenzusammenbruch folgendermaßen: Zunächst gilt die Haftungskaskade der Abwicklungsrichtlinie, wonach Verluste durch den Puffer aus Eigenkapital, Bankanleihen sowie die Einlagen, die über 100.000 Euro liegen, abgedeckt werden. Danach tritt der europäische Abwicklungsfonds in Kraft, der von 2016 an über acht Jahre hinweg mit 55 Milliarden Euro befüllt wird. Erst danach soll der europäische Einlagensicherungsfonds greifen.

Die deutsche Bundesregierung bemängelt an diesen Plänen, dass viele Staaten noch nicht einmal die schon geltenden Richtlinien zur Bankenunion in nationales Recht umgesetzt haben. Nach dem Stand vom 26. Januar 2016 war in fünf Ländern die Bankenabwicklungsrichtlinie und in sechs Ländern die Einlagensicherungsrichtlinie noch nicht in nationales Recht transformiert worden. Acht Staaten hatten das zwischenstaatliche Abkommen über den Bankenabwicklungsfonds noch nicht ratifiziert. Vor allem wird aber kritisiert, dass viele andere Länder noch keine nationalen Töpfe für die Einlagensicherung aufgebaut haben.

Der Vorschlag der EU-Kommission wird bisher nur von einer Minderheit der EU-Staaten vorbehaltlos unterstützt. Die Bundesregierung hat sich bisher dagegen ausgesprochen. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble wollte über die Einlagensicherung nicht verhandeln, solange die bereits geltenden Regeln in einigen Ländern noch offen sind. Entscheidend war für das „Sequencing“, also die Reihenfolge der Schritte. Außerdem forderte Wolfgang Schäuble Maßnahmen zur Verringerung der Bankenrisiken, darunter eine EU-Insolvenzordnung für Staaten und eine angemessene Risikogewichtung für Staatsanleihen in den Bankbilanzen. „Jeder Schritt, den wir in Richtung Risikoteilung gehen, verhindert den Risikoabbau. Deshalb muss die Risikoreduzierung Vorrang haben“, sagte Schäuble. Damit befand sich Schäuble im Einklang mit Bundesbankpräsident Jens Weidmann, der gleichlautende Forderungen an eine gemeinsame Einlagensicherung gestellt hat.

Ob es beim deutschen "Nein" zur Vergemeinschaftung der Einlagensicherung bleibt, ist nach der Bundestagswahl 2017 eine offene Frage. Der geschäftsführende Finanzminister Peter Altmaier (CDU) hält es für denkbar, dass die EU bis zur Jahresmitte beschließt, etappenweise und unumkehrbar in die Vergemeinschaftung des Sparerschutzes einzusteigen. Voraussetzung dafür soll ein "möglichst objektiver Beschluss sein, dass die in den Bankbilanzen schlummernden Risiken ausreichend gesenkt worden sind". Altmaier ließ erkennen, dass er diesen Zeitpunkt für gekommen hält, obgleich keine Rede davon sein kann, dass die Bankrisiken schon umfassend gesunken sind. Insgesamt stehen noch  950 Milliarden bei Europas Banken im Feuer, für die deutsche Banken mithaften sollen.  

Auch weitere Voraussetzungen, die nach Meinung von Wolfgang Schäuble und Jens Weidmann vor Beginn von Verhandlungen über die Einlagensicherung vorliegen müssen, sind nicht gegeben. In diesem Zusammenhang spielt die Abschaffung der regulatorischen Bevorzugung von Staatsanleihen eine entscheidende Rolle. Die Finanzkrise hat gezeigt, dass auch Staatsanleihen ausfallen und zu Schieflagen in den Bankbilanzen führen können. Gleichwohl müssen Banken dafür immer noch kein Eigenkapital vorhalten. 

Diese Sonderregelung ist ein Anreiz für Banken wie auch für Versicherer, übermäßig in Staatspapiere zu investieren. Seit einigen Jahren wird deshalb wegen der damit verbundenen Gefahren für die Finanzmarktstabilität gefordert, die bisher geltende "Nullgewichtung" für die Staatspapiere zu beenden. Gegner einer solchen Änderung sind die hoch verschuldeten Staaten, weil die jetzige Bevorzugung die Ausgabe von Staatsanleihen erleichtert. So hat der italienische Regierungschef Renzi es jüngst abgelehnt, regulatorische Grenzen für Staatsanleihen in den Bankbilanzen einzuführen. Nach Einschätzung von EU-Diplomaten ist es ausgeschlossen, dass die Diskussion zu schnellen Ergebnissen führt.   

In Berlin wird darüber hinaus bemängelt, dass von dem Kommissionsvorschlag einer Einlagensicherung falsche  Handlungsanreize für Banken, Aufseher und Politiker ausgehen. Wenn man die Bankenrisiken vergemeinschaftet, müssten sich die Banken und Aufseher nicht mehr um die Senkung der bestehenden Risiken bemühen. Für Banken sänke zudem der Ansporn, unangemessene Risiken zu vermeiden. Damit gebe es mit einer gemeinsamen Einlagensicherung weniger und nicht mehr Stabilität in Europa.

Nationale Politiker könnten zudem „ungestraft“ Unternehmensinsolvenzen und Pfändungen aussetzen, was die Bankenprobleme verschärft. Außerdem ließen sich mit einer falschen Fiskal-, Steuer- und Kreditpolitik die Risiken erhöhen und Banken schwächen. „Nicht umsonst haben in Griechenland die Anleger das Weite gesucht, als die Regierung im ersten Halbjahr 2015 ein mit 40 Milliarden Euro (20 Prozent der Wirtschaftsleistung gemessen am Bruttoinlandsprodukt) frisch rekapitalisiertes Bankensystem untergrub“, schreibt Ludger Schuknecht, Chefvolkswirt im Bundesfinanzministerium in der FAZ vom 8 Februar 2016. So müssten andere Länder für die Folgen einer falscher nationalen Politik haften, ohne solches Verhalten begrenzen zu können.

Dass der gemeinsame Haftungsfonds aus privaten Mitteln der Banken gespeist werden soll, entwertet diese Argumente nicht. Denn was passiert, wenn der gemeinsame Topf leer ist? Eine Debatte über eine nachfolgende gemeinsame Haftung der Staaten, den „common public backstop“ ist die zwangsläufige Folge. Beim gemeinsamen Bankenabwicklungsfonds liegt diese Forderung schon auf dem Tisch, ohne dass eine Einigung zwischen den EU-Staaten in Sicht ist.

Besonders brisant ist die Frage, nach welchen Mehrheitsregeln die Mitgliedstaaten abstimmen werden. Berlin besteht auf Einstimmigkeit, während die Kommission meint, eine qualifizierte Mehrheit reiche aus. Sie beruft sich dabei auf Artikel 114 EUV, der für die Umsetzung des Binnenmarktes vorgesehen ist. Was die Einlagensicherung mit Binnenmarkt zu tun hat, erscheint schon weithergeholt. Die Bezugnahme auf diesen Artikel ist vor allem deshalb problematisch, weil damit einzelne Länder überstimmt werden können und damit eine einseitige Lastenverteilung möglich ist.

Dies gilt auch für Projekte, die an den Grundfesten von Marktwirtschaft und Subsidiarität in Europa rütteln. „Die Kommission will eine neue Abgabe für den Bankensektor, ignoriert die bestehenden Sicherungssysteme in einzelnen Ländern und erzwingt indirekt Haftungsrisiken über Ländergrenzen. Das sind massive Eingriffe in die Eigentumsrechte und Vertragsfreiheit, die die Erwartung von Rechtssicherheit und Eigentumsschutz in Deutschland und Europa nicht gerade fördern“, schreibt Ludger Schuknecht. „Euroskepsis und Zentralisierungsängste würden weiter gestärkt.“

   





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