Merkels politische Sympathien
Angela Merkel (69) hat sich seit dem Ende ihrer Kanzlerschaft aus dem Politikbetrieb weitgehend zurückgezogen. Aktuell schreibt sie an ihren Memoiren, die im Herbst 2024 erscheinen sollen. Auch Einladungen zu Vorträgen lehnt sie ab, weil sie laut Angaben ihres Büros „nach ihrem Ausscheiden aus der aktiven Politik grundsätzlich nicht an tagesaktuellen Ereignissen teilzunehmen“ will.
Die von Merkel praktizierte Abstinenz betrifft insbesondere die CDU, deren Vorsitzende sie jahrelang war und der sie das Kanzleramt zu verdanken hat. Sie besucht keine Bundesparteitage mehr und hat den Kontakt zur CDU vollständig abgebrochen. Von ihren Ämtern in der Konrad-Adenauer-Stiftung ist sie zurückgetreten. Den ihr angebotenen Ehrenvorsitz der CDU hat sie abgelehnt. Sie erschien auch nicht zur privaten Trauerfeier und Beerdigung von Wolfgang Schäuble in Offenbach.
Es sorgte deshalb für große Überraschung, als der „Spiegel“ berichtete, Angela Merkel werde auf Einladung der Grünen bei der Verabschiedung ihres Abgeordneten Jürgen Trittin (69) die Abschiedsrede halten. Was konnte Merkel zu dieser Entscheidung veranlasst haben?
Parteipolitisch standen sich Merkel und Trittin nicht besonders nah, allerdings mit folgender Ausnahme: Beide leiteten das Bundesumweltministerium: Merkel bis 1998 und Trittin als ihr unmittelbarer Nachfolger. Daraus eine spezielle Verbindung abzuleiten, ist bisher aber niemandem in den Sinn gekommen. Denn Trittin hielt mit seiner Kritik an der späteren Kanzlerin nicht zurück: Etwa 2011, als er ihr attestierte, „die mit Abstand schlechteste Regierung“ zu führen, „die diese Demokratie gesehen hat“.
Betrachtet man aber den Weg der Kanzlerschaft von Angela Merkel, der mit einer grünen Energie- und Klimapolitik endete, wird verständlich, warum bei der CDU-Kanzlerin mit der Zeit die Sympathien für den Mann vom linken Parteiflügel der Grünen ungeachtet aller politischen Differenzen gewachsen sind. Nur so kann man sich ihre Bereitschaft erklären, für Jürgen Trittin die Abschieds-Laudatio zu halten.
Gleichzeitig musste Angela Merkel noch während ihrer Kanzlerschaft feststellen, dass sie der CDU auf ihrem politischen Weg zu viel zumutete. Ob Europapolitik, Wehrpflicht, Atomausstieg, Einwanderungspolitik, Mindestlohn oder die Ehe für Alle: Das Erfolgsrezept der Kanzlerin war es stets, ihre Ausrichtung sorgfältig am Mehrheitswillen zu messen. Doch daraus ergibt sich auch eine lange Geschichte der Enttäuschungen in CDU/CSU und der wachsenden Entfremdung zwischen ihr und großen Teilen der Partei.
Aus der Sicht von Angela Merkel ist es deshalb konsequent, alle Leinen zur CDU zu kappen. Die Bindungen waren nie sehr eng, und die Partei bedeutete ihr nicht viel. Seit jeher fremdelten Merkel und die CDU. Es war ein Zweckbündnis, das machttechnisch eine Win-win-Situation sicherte. Die CDU war an der Regierung, wo sie in ihrer Selbstwahrnehmung hingehörte. Und Merkel war Kanzlerin. Man war also quitt und nach Merkels Verständnis auch nichts schuldig. Damit versetze sie der CDU einen „letzten Kinnhaken“, wie der „Münchener Merkur“ diesen Vorgang kommentierte.
Die Führung der CDU bemüht sich nach Kräften, den aus dem Verhalten von Angela Merkel entstehenden Schaden von der Partei fern zu halten. Zu Jahresbeginn setzte CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann darauf, dass die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel ihre Partei auch im nächsten Bundestagswahlkampf unterstützen würde. „Selbstverständlich“ hoffe er auf ihre Hilfe, sagte er damals dem „Stern“ auch mit Bezug auf parteipolitische Kontinuität: „Ich finde es wichtig, dass wir keinen Bruch mit der Vergangenheit haben.“
Von einem Bruch ist von Seiten der ehemaligen CDU-Kanzlerin keine Rede. Doch ein neuerliches parteipolitisches Engagement von Angela Merkel ist nicht erkennbar. Dem kommenden Parteitag vom 6. bis 8. Mai im Berliner Hotel Estrel wird sie jedenfalls fernbleiben, weil sie „grundsätzlich nicht an tagesaktuellen Ereignissen“ teilnehmen will.
Merkel hat in den mehr als zwei Jahren seit dem Ende ihrer Amtszeit klargemacht, dass sie mit der CDU nichts mehr verbindet. Und auch mit diesem Land. Im Herbst kommen ihre Memoiren auf den Markt, in denen sie ein eigenes Urteil über ihre Amtszeit fällt.
Vielleicht steht es dann der CDU und auch dem ganzen Land ganz gut zu Gesicht, mit eben jener Leidenschaftslosigkeit und einem gewissen Desinteresse darauf zu reagieren wie Merkel ihrerseits jetzt auch.