EU-Zölle auf Chinas E-Autos
Schon Anfang 2024 warnte Tesla-Chef Elon Musk vor der Übermacht chinesischer Hersteller von Elektroautos: „Wenn es keine Handelsschranken gibt, werden sie die meisten anderen Autofirmen in der Welt so ziemlich zerstören.“
Im Mai 2024 kündigten die USA eine deutliche Erhöhung der Zölle auf eine Vielzahl von Produkten aus China an. Wie das Weiße Haus mitteilte, sind unter anderem Elektroautos, Halbleiter, Mineralien und Medizinprodukte betroffen. Der Zollsatz auf chinesische E-Autos wird zum Beispiel drastisch, nämlich von 25 auf 100 Prozent, steigen. Damit sollen Industriesektoren von „strategischer“ Bedeutung vor „unlauterem Wettbewerb“ durch China geschützt werden. China kündigte bereits Gegenmaßnahmen an.
Anfang Oktober 2024 entschied sich auch die Europäische Union - und zwar gegen den Widerstand der Bundesregierung - für Einfuhrzölle auf Elektroautos aus China. Damit hat es nunmehr die EU-Kommission in der Hand, auf chinesische E-Autos Zusatzzölle in Höhe von bis zu 35,3 Prozent zu erheben. Die Zölle können gestoppt werden, wenn noch rechtzeitig eine Lösung mit China am Verhandlungstisch erreicht wird.
Die deutschen Autobauer und Branchenverbände plädieren für eine Verhandlungslösung. "Gemeinsames Ziel muss es sein, etwaige Schutzzölle und damit einen Handelskonflikt zu verhindern", heißt es in einer Mitteilung von Volkswagen. Auch Mercedes befürchtet weitreichende negative Auswirkungen auf die Automobilbranche. Verhandlungen bräuchten Zeit, daher müsse die Erhebnung der Zölle aufgeschoben werden.
Das Außenministerium in Peking teilte auf Anfrage mit, die von Europe angekündigten Zölle seien unvernünftig und protektionistisch. Außerdem würden sie der Energiewende in der EU und dem Kampf gegen den Klimawandel schaden. China werde weiter auf Dialog setzen, gleichzeitig aber die Interessen chinesischer Unternehmen schützen.
Eurobonds im Streit
Eurobonds (auch EU-Anleihen oder Gemeinschaftsanleihen genannt) sind verbriefte Obligationen der Europäischen Union, für die die EU-Staaten gemeinsam als Gesamtschuldner haften. Den Vorteil solcher Anleihen sieht die EU-Kommission darin, dass durch die Risikoteilung insgesamt niedrigere Zinsen anfallen, als dies der Fall wäre, wenn die Länder einzeln Kredite aufnehmen. Gleichzeitig verspricht man sich von solchen Gemeinschaftsanleihen, dass sie bei den Investoren und Anlegern wegen des geringeren Ausfallrisikos und der guten Handelbarkeit auf besonderes Interesse stoßen, vergleichbar den Staatspapieren (Treasuries) in den Vereinigten Staaten.
Viele europäische Politiker knüpfen große Erwartungen an EU-Anleihen, nicht zuletzt aus politischen Gründen: Das Vertrauen der Anleger in die EU würde gestärkt und die europäische Integration in Richtung eines gemeinsamen Kapitalmarktes weiter vorangetrieben. Hierhin gehört auch die Aussage des früheren Finanzministers Olaf Scholz (SPD) aus den Jahr 2020, dass die gemeinsame EU-Verschuldung zur Finanzierung des Corona-Wiederaufbaufonds mit dem amerikanischem „Hamilton-Moment“ auf dem Weg zu einem europäischen Bundesstaat vergleichbar sei.
Die Forderung nach Gemeinschaftsanleihen der EU wird vor allem von Politikern aus Italien geäußert. Der frühere EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni wirbt nach Ablauf des Corona-Programms für neue EU-Anleihen; dieselbe Forderung erheben seine Landsleute Enrico Letta und Mario Draghi in ihren Berichten zur europäischen Wettbewerbsfähigkeit. Der Grund dafür sind die italienischen Staatsschulden von 140 Prozent der Wirtschaftsleistung und die hohen Risikoaufschläge auf die Staatspapiere. Gemeinsame EU-Anleihen könnten – so die Hoffnung – Entlastung bringen.
Europawahl 2024 – eine Richtungswahl
Die Europawahl 2024 sollte eine Testwahl werden, tatsächlich wurde sie dann eine Richtungswahl. Die Konservativen und Rechten gehen gestärkt aus der Wahl hervor, SPD und Grüne sind geschwächt. Der CDU-Gruppenvorsitzende im Europaparlament, Daniel Caspary, wartete nicht lang mit seinem Urteil: „Der grün-rote Kurs in Europa ist klar abgewählt.“ So sehen die Ergebnisse in Deutschland aus:
CDU/CSU kommen auf 30 Prozent der Stimmen und sind damit stärkste Kraft geworden. Den 2019 erlittenen Verlust von -8,4 Prozent der Stimmen konnten sie allerdings nicht aufholen. Im Europaparlament ist die Union wie in der letzten Legislaturperiode künftig mit 29 Abgeordneten vertreten.
Die SPD verliert knapp zwei Punkte und landet bei 13,9 Prozent. Den Verlust von -11,5 Prozent der Stimmen bei der Europawahl 2019 konnte sie auch nicht ausgleichen. So verliert sie zwei weitere Sitze und ist im europäischen Parlament nur noch mit 14 Abgeordneten vertreten;
Verlierer der Europawahl 2024 sind eindeutig die Grünen. Im Vergleich zur vergangenen Europawahl verlieren sie 12 Prozent der Stimmen und kommen nur noch auf 15,2 Prozent. Während die Grünen in der vergangenen Legislaturperiode im Europaparlament über 21 Sitze verfügten, sind es künftig nur noch 12 Abgeordnete.
Der große Gewinner der Wahl 2024 ist die AfD, die mit einem Plus von 4,9 Prozent auf 15,9 Prozent kommt. Die AfD konnte schon 2019 ihren Stimmenanteil auf 11,0% steigern, wodurch sie 11 Sitze im Parlament erhielt. Jetzt erhält sie 4 Sitze hinzu, so dass es künftig im Europaparlament 15 AfD-Vertreter gibt.
Die EU vor der Zeitenwende?
Die Zahlen über die wirtschaftliche Entwicklung der Europäischen Union (EU) lassen die Alarmglocken klingeln. Jahrelang war die europäische Wirtschaft ungefähr so stark wie die amerikanische. Doch seit dem Jahr 2011 driften die beiden Wirtschaften auseinander, zuerst langsam, jetzt immer schneller. Nach den Voraussagen des Internationalen Währungsfonds (IWF) wird das Bruttoinlandsprodukt der USA schon 2025 um fast 50 Prozent über dem der EU liegen.
Überraschend ist diese Entwicklung nicht. Die EU-Kommission hat sich unter ihrer Präsidentin Ursula von der Leyen für die wirtschaftliche Entwicklung der EU kaum interessiert. Fragen wie die Stärkung der Industrie, die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Sicherung des Wohlstands waren für die Kommission zweitranging. Stattdessen konzentrierte sie sich auf Regulierungsfragen und den Green Deal, also den mit Schulden finanzierten Plan, Europa mit staatlichem Zwang zum ersten klimaneutralen Kontinent der Welt umzuwandeln.
Die Ergebnisse dieser europäischen Politik sind verheerend: Wirtschaft und Industrie ersticken unter Überregulierung und Bürokratie; die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit leidet unter hohen Energiepreisen; eine restriktive Handelspolitik gefährdet die Versorgung mit notwendigen Rohstoffen; die notwendige Vollendung des gemeinsamen Binnenmarkts ist versandet. Die wirtschaftliche Stagnation in der EU ist also hausgemacht.
Demgegenüber unterstützen die Hauptkonkurrenten USA und China ihre Wirtschaft mit gigantischen Summen, um sie innovativer, produktiver und wettbewerbsfähiger zu machen. Gleichzeitig sind dort die bürokratischen Lasten geringer, die Energiepreise und Lohnkosten niedriger und die Binnenmärkte durchlässig. So erklärt sich die wirtschaftliche Dynamik in den USA und China und die Vorliebe europäischer Unternehmen, vorrangig dort zu investieren.
Die EU steht deshalb vor einer wirtschaftspolitischen Zeitenwende: Statt der erste klimaneutrale Kontinent sein zu wollen, müssen die wirtschaftlichen Kräfte in Europa gestärkt werden, um den weiteren Abstieg zu bremsen und den Wohlstand zu sichern. Dazu soll das für Mitte April 2024 erstmals anberaumte Treffen der europäischen Staats- und Regierungschefs in Brüssel dienen, zu dem EU-Ratspräsident Charles Michel eingeladen hatte. „Wir brauchen auch einen Deal für die Wettbewerbsfähigkeit“, sagte Charles Michel. „Es ist wichtig, dass wir den Binnenmarkt stärken. Er muss zum innovativsten, fortschrittlichsten und grünsten Kraftzentrum der Welt werden. Unser Wohlstand, unsere Macht und unsere Autonomie leiten sich davon ab.“
Die Herausforderung des liberalen Westens
Kalter Krieg
Wie der Westen dem russischen Expansionsdrang nach dem 2. Weltkrieg widerstehen konnte, hat der US-Diplomat und Historiker George F. Kennan, der als Vater der Politik des Containments (Eindämmung) gilt, in seinen Erinnerungen eindrucksvoll beschrieben. Über die russische Politik schreibt er ganz generell: „Der Logik der Vernunft unzugänglich, ist die russische Führung der Logik der Macht in hohem Maße zugänglich.“
Kennans zentrale Aussage über Russland besteht darin, dass sein Imperialismus mit den Verhältnissen außerhalb Russlands wenig zu tun hat, sondern sich „im Großen und Ganzen aus elementaren innerrussischen Notwendigkeiten“ ergibt. Die russischen Herrscher hätten im Grunde alle gewusst, dass ihre Herrschaft veraltet war, so dass sie den Vergleich mit den westlichen Ländern nicht aushalten konnten. „Aus diesem Grunde haben sie immer vor fremder Durchdringung Furcht gehabt.“ In dieser Angst sieht Kennan die Ursache für den russischen Argwohn gegenüber dem Westen und den Hang des Kremls, auf militärische Stärke zu bauen. So erklärt er auch, warum die Außenwelt für die russische Führung „böse, feindselig und drohend ist“.
Der Weg in die europäische Schuldenunion
Vor dem Start der deutschen EU-Ratspräsidentschaft am 1. Juli mehren sich die Stimmen, die Bundeskanzlerin Angela Merkel vor dem Umbau der EU in eine Schuldenunion warnen. Aktueller Anlass ist der Merkel-Macron-Plan, wonach den von der Corona-Pandemie besonders betroffenen Regionen der EU mit einem „schuldenfinanzierten Wiederaufbaufonds“ in Höhe von 500 Milliarden Euro geholfen werden soll.
Mit diesem Plan hat die Bundeskanzlerin erneut eine überraschende und grundsätzliche Kehrtwende in der deutschen Europapolitik verkündet. Jahrzehntelang wehrte sich die Bundesregierung dagegen, dass sich die EU als Gemeinschaft verschuldet. Die Warnung vor einer „Schuldenunion“ fehlte auf keinem Parteitag der CDU. Doch jetzt will die Bundeskanzlerin während ihrer EU-Ratspräsidentschaft, die am 1. Juli 2020 beginnt, den Wiederaufbaufonds mit Schulden finanzieren.
Der geplante EU-Wiederaufbaufonds, den die EU-Kommission inzwischen auf 750 Milliarden Euro aufgestockt hat, soll in den von der Corona-Pandemie besonders betroffenen Regionen dafür sorgen, dass die Wirtschaft wieder in Gang kommt. Die dazu benötigten Mittel will sich die EU durch langfristige Anleihen auf den Kapitalmärkten besorgen. Begünstigt sind vor allem die südeuropäischen Länder, denen mit nicht rückzahlbaren Zuschüssen (2/3 der Mittel = 500 Milliarden Euro) und mit Krediten (1/3 der Mittel = 250 Milliarden Euro) geholfen werden soll. Strenge Auflagen für die Verwendung der Mittel sieht der Plan nicht vor. Die Rückzahlung der Kapitalmarktschulden soll nach Vorstellung der Kommission vornehmlich aus zukünftigen Steuereinnahmen der EU erfolgen (Digitalsteuer, Mindeststeuer für Unternehmen, Plastiksteuer, CO2-Grenzausgleich).
Der EU-Wiederaufbaufonds ist die Erfindung des französischen Finanzministers Bruno Le Maire, der dafür die deutsche Bundeskanzlerin über alle Maßen lobt: „Angela Merkel hat Mut bewiesen und ein Gefühl dafür, dass die Zeit reif war für eine Entscheidung mit historischer Tragweite, und dafür habe ich nur Lob. Es war mutig von der Kanzlerin, gemeinsame europäische Schulden zu akzeptieren. Sie hat dadurch einen Durchbruch möglich gemacht bei den Diskussionen vor der Präsentation der Vorschläge der EU-Kommission für einen Wiederaufbauplan.“
Merkels neue Europawende
Es hat alle überrascht, was Bundeskanzlerin Angela Merkel am 18. Mai 2020 gemeinsam mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron per Video-Pressekonferenz ankündigte: 500 Milliarden Euro wollen sie über einen „Fonds zur wirtschaftlichen Erholung auf EU-Ebene für Solidarität und Wachstum“ ausgeben, um den von der Corona-Pandemie besonders betroffenen Regionen wirtschaftlich wieder auf die Beine zu helfen.
Das Geld, und das ist das grundsätzlich Neue, soll den Mitgliedstaaten nicht als Kredit, sondern als verlorener Zuschuss gegeben werden. Die Finanzierung soll durch Anleihen der EU-Kommission auf den Finanzmärkten erfolgen. Für diese Schulden sollen die Mitgliedstaaten einstehen, wofür laut Merkel „der normale Haushaltsschlüssel der Mitgliedstaaten“ gelten soll.
Damit hat die Kanzlerin wieder einmal eine spektakuläre Kehrtwende hingelegt. Jahrzehntelang wehrte sich die CDU dagegen, dass sich die EU als Gemeinschaft verschuldet. Die Warnung vor einer „Schuldenunion“ fehlte auf keinem Parteitag. In der Finanzkrise und danach wurden Wolfgang Schäuble und Angela Merkel nicht müde, ihr kategorisches „Nein“ zu gemeinschaftlichen Anleihen, den sogenannten Euro-Bonds, zu verteidigen. Das alles ist nun Schnee von gestern.
Finanzminister Olaf Scholz (SPD) hat dem Merkel-Macron-Plan bereits zugestimmt. Scholz sieht darin wie Merkel einen wichtigen Schritt auf dem Weg zu einer immer engeren Europäischen Union. Merkel sagte bei ihrem Auftritt mit Macron den bemerkenswerten Satz: „Der Nationalstaat alleine hat keine Zukunft.“ Scholz antwortete auf die Frage, ob er darin einen Schritt zu den „Vereinigten Staaten von Europa“ sehe, dieses Ziel habe die SPD schon 1925 in ihrem Programm gehabt.
Europäische Populisten
„In Europa geht ein Gespenst um“ lautete die Schlagzeile in einer 2016 erschienenen Sonderausgabe des Journal of Democracy. Gemeint war die Zunahme populistischer Parteien in Europa. Damals gab es insgesamt 22 solcher Parteien, die man vorsichtig als „Herausforderer der liberalen Demokratie“ bezeichnete.
Glaubt man den deutschen Medien, dann ist die Gruppe populistischer Parteien mit der Wahl von Boris Johnson zum britischen Premierminister weiter gewachsen. Viele sehen ihn in einer Linie mit Trump in Amerika, Orbán in Ungarn oder Salvini in Italien. In der Tat gibt es Gemeinsamkeiten: die überzogene Kritik an der EU, die Missachtung politischer Standards und die Berufung auf die wahren Interessen des „Volkes“.
Doch ist bei der Verwendung des Begriffs „Populismus“ Vorsicht am Platz. Schon Ralf Dahrendorf wusste, dass die „Grenze zwischen Demokratie und Populismus, Wahlkampfdebatte und Demagogie, Diskussion und Verführung nicht immer leicht zu ziehen ist“.
Führungswechsel in Europa
Europa erlebte im Juli 2019 einen überraschenden Führungswechsel: Ursula von der Leyen wurde auf Vorschlag des Europäischen Rates zur EU-Kommissionspräsidentin gewählt. Außerdem verständigten sich die Euro-Staaten darauf, dass Christine Lagarde die nächste Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB) sein soll. Damit führen erstmalig zwei Frauen die beiden wichtigsten Institutionen in Europa.
Beide Personalvorschläge stammten vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron, der sich damit im Europäischen Rat auch durchsetzen konnte. Ohne Chancen war der von Angela Merkel für den Posten des Kommissionspräsidenten vorgesehene Manfred Weber, Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei (EVP), weil er von Macron als „nicht geeignet“ bezeichnet wurde. Auch Jens Weidmann, der derzeitige Präsidenten der Deutschen Bundesbank und nach allgemeiner Meinung für das Amt des EZB-Präsidenten bestens geeignet, blieb unberücksichtigt, weil Merkel ihn nicht vorgeschlagen hatte.
Lagarde verfügt als frühere Finanzministerin und derzeitige Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF) bereits über internationale Erfahrungen in der Finanz- und Geldpolitik. Demgegenüber muss sich Ursula von der Leyen, die bisher nur in Deutschland als Familien-, Sozial- und Verteidigungsministerin tätig gewesen ist, mit ihrem neuen Amt erst vertraut machen. Denn die Europäische Union (EU) ist in erster Linie eine 28 Staaten umfassende Wirtschaftsgemeinschaft. Es gibt jedoch keinen Zweifel, dass sie für die neue Herausforderung geeignet ist.
Die Frage ist jedoch, in welche Richtung von der Leyen die EU und Lagarde die EZB zukünftig führen werden.
Krise in Italien
In Italien droht möglicherweise die nächste Eurokrise. Die wirtschaftliche Lage Italiens ist seit Langem schlecht: Das Land ist hoch verschuldet, die Wirtschaft wächst nur schwach und in den Bilanzen vieler Banken schlummern massenweise faule Kredite. Auf den Finanzmärkten geht die Angst um, dass mit der neuen Regierung, die sich explizit nicht mehr an die Regeln der Eurozone halten will, womöglich die Unterstützung der Europäischen Zentralbank wegfällt. Die Furcht vor einem Staatsbankrott hat die Zinsen für italienische Staatsanleihen sprunghaft ansteigen lassen.
Italien ist nach Deutschland und Frankreich die drittgrößte Volkswirtschaft des Eurogebiets. Wie der jüngste Landesbericht der EU-Kommission zeigt, sind die strukturellen Defizite des Landes bedrohlich: unter anderem ein dramatischer Rückgang der Investitionen, hohe Arbeitslosigkeit, ein ständiger Rückgang der Produktivität, hohe öffentliche Schulden und ein angeschlagener Bankensektor mit einem hohen Anteil "fauler" Kredite. Italien hat seit der letzten Krise 2008 neun Prozent seiner Wirtschaftsleistung und 25 Prozent seiner Produktion verloren. Davon wurde bisher kaum etwas aufgeholt.
Deutschland kapituliert
In Fragen der Wirtschafts- und Finanzpolitik bestehen zwischen Deutschland einerseits und Frankreich sowie Italien andererseits nicht zu übersehende Unterschiede. Die Gründe dafür ergeben sich aus den jeweiligen Wirtschaftskulturen. Ludwig Erhard verstand unter Wirtschaftspolitik in erster Linie Ordnungspolitik, d.h. die Schaffung von geeigneten Rahmenbedingungen für die Wirtschaft. Der Grundsatz der Haftung spielt dabei eine zentrale Rolle. Demgegenüber standen der Staat und seine Gestaltungsmacht in Frankreich immer im Vordergrund der Wirtschaftspolitik. Wichtige Anliegen sind vor allem die Handlungsfähigkeit und Flexibilität einer starken Exekutive.
Aus solchen Unterschieden ergeben sich in der Geld- und Wirtschaftspolitik gegensätzliche Handlungsempfehlungen: Für die deutsche Notenbank war die Stabilität der Währung oberstes Gebot. Damit sollte Sparen und solides Haushalten belohnt werden. Demgegenüber sehen französische Politiker in der Währung ein Mittel, um Wachstum und Beschäftigung zu fördern. Schulden von Banken oder Staaten interpretieren sie eher als ein Liquiditätsproblem, das sich mit staatlicher Hilfe lösen lässt.
Die südlichen Länder in Europa folgen weitgehend der französischen Denkweise, während der Norden eher den deutschen Positionen zuneigt. Mehr und mehr hat sich aber in den europäischen Institutionen die französische Sichtweise durchgesetzt, weil die Bundesregierung in der Währungsunion ständig Zugeständnisse machte und gegenüber den südeuropäischen Ländern kapitulierte. Der Deutsche Bundestag leistete dagegen kaum Widerstand, weil man die Bundeskanzlerin nicht brüskieren wollte.
Der Target2-Skandal
Der Target2-Skandal besteht darin, dass die Target2-Forderungen der Bundesbank gegen die Europäische Zentralbank (EZB), die per Ende Juni 2018 auf den Rekordwert von 976 Milliarden Euro geklettert sind, faktisch uneinbringlich sind. In dem für Target2 geltenden Regelwerk ist festgelegt, dass Target2-Forderungen weder fällig gestellt werden können noch zu besichern sind. Umgekehrt sind Target2-Verbindlichkeiten zu keinem Zeitpunkt auszugleichen. Die derzeit gültige Regelung stammt aus dem Jahr 2007, als Axel A. Weber Präsident der Deutschen Bundesbank war.
In seiner Wirkung kommt das Target-System damit einem Kontokorrentverhältnis gleich, aus dem sich die europäischen Schuldnerländer jederzeit in unbegrenzter Höhe zu einem derzeitigen Zinssatz von 0,0 Prozent finanzieren können. Davon machen vor allem Italien und Spanien Gebrauch, wie an den Target-Verbindlichkeiten dieser Länder zu erkennen ist. Die Verbindlichkeiten von Italien belaufen sich inzwischen auf 481 Milliarden Euro und die von Spanien auf 398 Milliarden Euro.
Die wachsenden Target-Salden bringen die EZB in Erklärungsnot. Ihr Präsident Mario Draghi weicht Fragen zur Tilgung oder Besicherung der Salden aus. Frühere EZB-Mitarbeiter wie der DIW-Präsident Marcel Fratzscher und der Ökonom Martin Hellwig verteidigen sich mit dem Argument, es handele sich doch nur um belanglose Salden.
Britischer EU-Austritt
Mehr als zwei Jahre nachdem die Briten für den Austritt aus der EU gestimmt haben, hat Premierministerin Theresa May zum ersten Mal einen detaillierten Plan vorgelegt, wie sie sich die künftigen Beziehungen zur EU vorstellt.
Der Plan der Regierung in London ist hoch umstritten. Außenminister Boris Johnson, Befürworter eines harten Brexit, ist aus Protest zurückgetreten. Der amerikanische Präsident Donald Trump droht damit, auf ein Handelsabkommen mit Großbritannien zu verzichten, wenn May ihren Plan weiter verfolgt.
Zudem sind die vorgeschlagenen Zollregeln sehr kompliziert. Klarer Verlierer ist die Finanzbranche in Großbritannien. Ob der Finanzplatz Deutschland davon profitiert, ist angesichts französischer Akquisitionsbemühungen keineswegs sicher.
Spalterische EU-Reformen
Die Debatte um die Reform der Europäischen Union (EU) geht in die entscheidende Runde. Ende Juni 2018 kommen die europäischen Staats- und Regierungschefs zusammen, um über die verschiedenen Vorschläge zu beraten. Der französische Präsident Emmanuel Macron, der im Herbst 2017 in seiner Sorbonne-Rede zu dieser Debatte aufgefordert hat, ist ungeduldig. In direkter Ansprache zur Bundeskanzlerin sagte er Anfang Mai bei der Verleihung des Karlspreises in Aachen: „Ich warte auf eine deutsche Antwort. Lassen Sie uns endlich handeln“.
Nur wenig später kam die Antwort von 154 deutschen Wirtschaftsprofessoren in Form eines in der FAZ vom 22. Mai 2018 erschienenen öffentlichen Aufrufs: „Wir - 154 Wirtschaftsprofessoren – warnen davor, die europäische Währungs- und Bankenunion noch weiter zu einer Haftungsunion auszubauen. Die in der Berliner Koalitionsvereinbarung erwähnten Vorschläge des französischen Präsidenten Macron und des EU-Kommissionschefs Juncker bergen hohe Risiken für den europäischen Bürger.“
Der Aufruf wirft ein Schlaglicht darauf, wie problematisch und umstritten die aus Brüssel und Paris stammenden Reformvorschläge sind. Die 154 Ökonomen kritisieren in erster Linie, dass die Vorschläge allesamt das Haftungsprinzip innerhalb der Eurozone weiter schwächen, wodurch Anreize für wirtschaftliches Fehlverhalten (moral hazard) entstehen und die Interessengegensätze innerhalb der Eurozone noch stärker werden. Den Vorwurf aus Brüssel, die deutsche Seite sage zu jedem Reformvorschlag nur „nein“, kontern die 154 Ökonomen mit konkreten Gegenvorschlägen.
Europäische Alternativen
Im März 2017 trafen sich die Staats- und Regierungschefs der EU in Rom, um den 60. Jahrestag der Römischen Verträge zu feiern. Die britische Oremierministerin Theresa May wird schon nicht mehr dabei.. „Das wird nicht nur eine Geburtagsfeier sein“, sagte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker vor diesem Ereignis. „Es muss auch eine Geburtsstunde der EU der 27 sein.“
Zur Vorbereitung des Treffens in Rom präsentierte Juncker dem Europäischen Parlament ein Weißbuch, in dem die verschiedenen Handlungsoptionen für Europas Zukunft dargestellt werden. Bis Jahresende sollen sich die EU-Staats- und Regierungschefs konkret dazu äußern. Die CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament unterstütze diese Initiative. „Wir brauchen Alternativen und müssen dabei die Realität zur Kenntnis nehmen“, sagte Herbert Reul, der Vorsitzende dieser Gruppe.
Zentrifugalkräfte in Europa
Wenn richtig wäre, dass Europa vor allem in Krisen näher zusammenrückt, dann hätte die Europäische Union (EU) gestärkt aus der Eurokrise und Flüchtlingskrise hervorgehen müssen. Genau das Gegenteil ist aber eingetreten: In diesen Krisen sind die Mitgliedsländer immer mehr auseinander gerückt und die Union hat sich gespalten.
Die Spaltung ist eine doppelte: Der Euro hat die EU in einen schwachen Süden und starken Norden geteilt. Das hinter der Flüchtlingskrise stehende Schengensystem trennt den Osten vom Westen. Die Spaltung ist nicht exogener Natur, sondern hat endogene Ursachen, das heißt, sie ist selbstgemacht. Sie kann deshalb auch nur mit eigenen Anstrengungen überwunden werden.
Macron oder Lindner ?
Es herrscht wieder Aufbruchstimmung in der Europäischen Union. Es war Mitte September 2017, als der Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker den Abgeordneten im Europäischen Parlamentes sein Vision von Europa erklärte: Mehr Brüssel, mehr Euro und mehr Geld. Geht es nach Juncker, wird es zukünftig nur noch einen Präsidenten von Kommission und Europäischem Rat geben, der als „Spitzenkandidat“ von den Wählern direkt bestimmt wird. Der Euro soll kurzfristig in allen Mitgliedsländern der EU eingeführt werden.
Gleichzeitig unterstützte Juncker den Plan, den Euro-Krisenfonds ESM schrittweise in einen Europäischen Währungsfonds (EWF) umzuwandeln, der selbständig entscheiden kann. Außerdem forderte Juncker einen Eurohaushalt mit deutlich mehr Geld und einen in der Kommission angesiedelten Finanzminister. Dieser solle „alle Finanzierungsstrukturen“ im Euroraum „koordinieren“. Das heißt: Er soll über viel Geld verfügen und es verteilen können. „Leinen los“ rief Juncker am Schluss seiner Rede den Abgeordneten zu.
Wohin treibt Europa ?
Die Europäische Union steht derzeit vor ihrer bisher größten Bewährungsprobe. An der Spitze der Herausforderungen steht das Thema der Migration. Auf Fragen, wie die EU-Außengrenzen wirksam zu sichern sind oder wie Flüchtlinge einigermaßen fair auf die EU-Mitgliedstaaten verteilt werden könnten, wurden bis heute keine angemessenen Antworten gefunden.
Ebenso planlos wirken die Versuche, die wirtschaftlich und fiskalisch angeschlagenen Mitgliedstaaten der EU zu stabilisieren. Bis heute sind über die Rettungsschirme und den Internationalen Währungsfonds IWF allein nach Griechenland rund 240 Milliarden Euro geflossen, ohne dass sich dort die Wirtschafts- und Haushaltslage verbessert hätte.
Gleichzeitig bewegt sich die Europäische Zentralbank mit ihrer Nullzinspolitik und dem Ankauf von Staats- und Unternehmensanleihen ordnungspolitisch und rechtlich auf sehr dünnem Eis. Während die positiven Effekte der monetären Expansion immer geringer werden, nehmen die negativen Nebenwirkungen deutlich zu.
Die EU ist ökonomisch geschwächt und institutionell gelähmt. Die Politik wirkt ratlos, erschöpft und zerstritten. Zeit zu kaufen scheint zur Maxime der Rettungspolitiker geworden zu sein. Von überzeugenden Lösungen ist kaum eine Spur zu erkennen. In allen Mitgliedstaaten befinden sich EU-skeptische Parteien im Aufwind.
Deshalb ist die Frage nach der Richtung, in die Europa treibt und in die es sich entwickeln sollte, selten so aktuell gewesen wie derzeit.
Brexit - Eine Alarmglocke!
Die Briten haben sich am 23. Juni 2016 in einem Referendum mit knapper Mehrheit für den Austritt auf der Europäischen Union (EU) ausgesprochen. Dies ist nicht das Ende der EU, aber eine Alarmglocke für alle Europäer. Mit ihrer Entscheidung für „Leave“ statt „Remain“ haben die Briten den Europäern gesagt, dass eine Mitgliedschaft in der EU für sie nicht mehr attraktiv ist.
Darauf war die Europäische Union in keiner Weise vorbereitet, so dass sich viele Fragen stellen. Wie soll man auf das Votum der Briten reagieren? Soll man die Briten für ihre Entscheidung bestrafen und die Verbindungen kappen? Oder liegt es im Interesse der EU, den Briten Brücken zu bauen und mit ihnen zu kooperieren?
Gleichzeitig muss sich die Europäische Union aber auch selbst fragen, wohin ihre Reise gehen soll? Die südlichen Mitgliedsländer wollen zusammen mit der EU-Kommission rasch Schritte zur weiteren Vertiefung der EU und zu mehr Supranationalität auf den Weg bringen, um die Union handlungsfähiger zu machen. Dies halten nördliche und die östlichen Mitgliedsländer für den grundsätzlich falschen Weg, wobei sie auf den Brexit verweisen. Sie plädieren stattdessen dafür, den Prozess zu einer immer stärkeren Union zu stoppen und den Mitgliedstaaten Kompetenzen zurückgeben. Dieser Streit spaltet Europa.
Gespaltenes Europa
Europa befindet sich in einem kritischen Zustand. Die Europäische Union (EU) ist wirtschaftlich gespalten und politisch zerstritten. Zwischen Bürgern und der politischen Elite hat sich eine tiefe Kluft aufgetan. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker spricht von einer „Polykrise“ und appelliert an den „Pioniergeist“ früherer Tage. Die EU gleicht jedoch immer mehr einem " Club nationaler Egoisten“.
Eine Ursache ist die ungelöste Eurokrise: Die Wirtschaft im Süden Europas stagniert und die Arbeitslosigkeit bleibt hoch. Außerdem steigt die Staatsverschuldung trotz europäischer Finanzhilfen immer weiter an. Davon profitieren vor allem europakritische Linksparteien, die mit der Ablehnung notwendiger Reformen und strikter Haushaltsführung für sich werben. Gleichzeitig wächst im Norden Europas der Widerstand gegen die dauerhaften Transfers in nord-südlicher Richtung, zum Nutzen der europaskeptischen Rechtsparteien in Europa. Die andauernde Eurokrise stärkt also die Zentrifugalkräfte in Europa sowohl auf der linken als auch auf der rechten Seite des politischen Spektrums.
Ein zweiter Spaltpilz in Europa ist die aktuelle Flüchtlingskrise. Das Schengensystem der EU mit offenen Binnengrenzen und einer sicheren EU-Außengrenze ist unter dem Ansturm der Flüchtlinge aus Afrika und der Türkei zusammen gebrochen. Dies hat innerhalb der EU zu ganz unterschiedlichen Reaktionen geführt: Deutschland pflegt eine „Willkommenskultur“ und hält die Grenzen prinzipiell offen. Die osteuropäischen Länder lehnen die Aufnahme von Flüchtlingen grundsätzlich ab und sichern ihre Grenzen durch Kontrollen und Grenzschutzanlagen. Die EU-Kommission wiederum bemüht sich, die EU-Außengrenzen durch Vereinbarungen mit Drittstaaten (z.B. mit der Türkei) gegen illegale Übertritte zu schützen. Im Streit über den „richtigen Weg“ in der Flüchtlingspolitik haben sich mehrere Lager gebildet, die die Handlungsfähigkeit der EU gefährden. Profiteure sind wiederum die rechts- und linkspopulistischen Parteien in Europa.
Der endgültige Rettungsschirm (ESM)
Am 27. Oktober 2010 erklärte Angela Merkel im Deutschen Bundestag, dass der vorläufige Rettungsschirm (ESFS) planmäßig im Jahr 2013 auslaufen werden. Keine vier Wochen später galt dies schon nicht mehr. Denn in Brüssel hatte sich die Auffassung durchgesetzt, dass der ESFS durch einen dauerhaften Rettungsschirm mit deutlich erweiterten Kompetenzen ersetzt werden sollte. Hierzu beschloss der Europäische Rat am 25. März 2011 zu Artikel 136 AEU-Vertrag folgende Vertragsergänzung:
„Die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, können einen Stabilitätsmechanismus einrichten, der aktiviert wird, wenn dies unabdingbar ist, um die Stabilität des Währungsraums insgesamt zu wahren. Die Gewährung aller erforderlichen Finanzhilfen im Rahmen des Mechanismus wird strengen Auflagen unterliegen.“
Zweck dieser Vertragsergänzung war es, dem dauerhaften Rettungsschirm eine eindeutige Rechtsgrundlage zu geben, um den Kritikern des Rettungskurses den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Wachsende Staatsverschuldung in Südeuropa
In den ersten Jahren der Euro-Währungsunion floss viel Geld zu günstigen Bedingungen von Banken und institutionellen Anlegern aus Länder wie Deutschland und den Niederlanden in die südlichen EU-Ländern wie Portugal oder Griechenland. Dort wurden die Gelder unter anderem für Immobilienfinanzierungen und für den Erwerb von Staatsanleihen verwendet. Diese Geldtransfers sorgten in Südeuropa nicht nur für ein kräftiges Wirtschaftswachstum, sondern auch für eine starke Expansion des staatlichen Sektors. Die Zahl der Staatsbediensteten und Pensionäre wuchs ebenso wie die Höhe ihrer Gehälter und Pensionen. Zudem investierte der Staat großzügig in vielfach überdimensionierte Infrastrukturprojekte, vor allem in Autobahnen, Flugplätze und Ferienanlagen. Viele davon sind heute Investitionsruinen.
Die Exzesse der privaten und öffentlichen Verschuldung wurden durch regulatorische Fehlanreize begünstigt: Anleger und Banken verzichteten auf die üblichen Bonitätsprüfungen, weil Staatsanleihen schon „aufsichtsrechtlich“ als risikolose Papiere galten. Außerdem blieben die in den EU-Verträgen vorgesehenen Verschuldensregeln weitgehend wirkungslos. Die Folgen dieses kreditfinanzierten Expansionskurses lässt sich an der Entwicklung der Staatsschuldenquoten (Schulden in Relation zum BIP) ablesen: Sie stieg für Griechenland von 97 Prozent 2003 auf 179 Prozent 2013, für Spanien von 49 Prozent 2003 auf 92 Prozent 2013 und für Portugal von 57 Prozent 2003 auf 129 Prozent 2013. Die zulässige Obergrenze nach dem Maastricht-Vertrag (Stabilitätspakt) liegt bei 60 Prozent.
Kreditfinanziertes Wachstum in Südeuropa
Die Europäische Währungsunion funktionierte fast ein Jahrzehnt reibungslos. Die Euro-Skeptiker unter den Wirtschafts- und Finanzexperten schienen widerlegt. Die Inflation war niedrig, und die Europäische Zentralbank gewann zunehmend an Bedeutung und Vertrauen. Der Euro entwickelte sich zur zweitwichtigsten Reservewährung, und der europäische Finanzmarkt wuchs mehr und mehr zusammen. Es schien sich zu bewahrheiten, dass der Euro die Nachfolge der starken D-Mark angetreten hatte. Dementsprechend sanken die Zinsen in den südlichen Ländern Europas auf deutsches Niveau, was als zunehmende Konvergenz der Volkswirtschaften gedeutet wurde. Für die Politik gab es viel zu feiern, vor allem in Zeiten, in denen die jeweiligen Regierungschefs der Euro-Länder die EU-Ratspräsidentschaft inne hatten. Das heraufziehende Gewitter wollte niemand sehen.
Der kollektive Vertragsbruch
Am 7. Mai 2010 vollzog die Bundesregierung - nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit - eine grundsätzliche Kehrtwende der deutschen Europapolitik.
An diesem Tag erklärte sich Angela Merkel auf dem Euro-Gipfel der Staats- und Regierungschefs damit einverstanden, dass ein „Europäischer Rettungsschirm“ mit einem Volumen von 500 Mrd. Euro geschaffen werden sollte. Zweck dieses Rettungsschirms sollte es sein, Euro-Staaten im Krisenfall bei der Lösung ihrer Finanzierungsprobleme zu helfen. Ebenfalls am 7. Mai 2010 trat der Deutsche Bundestag zusammen und beschloss das erste Hilfspaket für Griechenland in Höhe von 110 Mrd. Euro, um das Land vor einer Staatspleite zu retten. Einen Tag vorher, am 6. Mai 2010, hatte sich der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) bereits darauf verständigt, dass die Bank Staatsanleihen von Krisenstaaten ankaufen sollte. Auch dazu erklärte Angela Merkel auf dem Gipfeltreffen „stillschweigend“ ihr Einverständnis.
Mit diesen Entscheidungen wurden zwei Grundregeln der Euro-Währungsordnung, nämlich das zwischenstaatliche „Beistandsverbot“ und das „Verbot der monetären Staatsfinanzierung“, faktisch außer Kraft gesetzt. Beide Regeln hatte Helmut Kohl bei den Verhandlungen über den Maastricht-Vertrag im deutschen Interesse gegen den Widerstand Frankreichs und der Südländer durchsetzen können.
Europäische Integration
In Fragen der europäischen Integration und der Wirtschaftspolitik bestanden zwischen Deutschland und Frankreich in der Nachkriegszeit gravierende Unterschiede. Beide Länder standen zwar vor der gleichen Aufgabe: Sie mussten ihre kriegszerstörte Wirtschaft wiederaufbauen. Auf dem Weg dahin wählten sie aber verschiedene Wege. Deutschland entschied sich unter Ludwig Erhard für die „Soziale Marktwirtschaft“. Demgegenüber ging Frankreich mit der von Jean Monnet konzipierten „planification francaise“ den Weg der gelenkten Wirtschaft. Diese historischen Unterschiede wirken bis heute fort und prägen insbesondere die Vorstellungen der Deutschen und Franzosen über die europäische Integration.
Ludwig Erhard verstand unter Wirtschaftspolitik in erster Linie Ordnungspolitik, d.h. die Schaffung von geeigneten Rahmenbedingungen für die Wirtschaft. Beim Wiederaufbau setzte er auf die Dynamik freier Unternehmer und überließ die Steuerung der Wirtschaft weitgehend den Märkten. So viel Freiheit wie möglich, so viel Regulierung wie nötig, war das ungeschriebene Leitmotiv der Wirtschaftspolitik in Deutschland.
Demgegenüber standen der Staat und seine Gestaltungsmacht in Frankreich immer im Vordergrund der Wirtschaftspolitik. Es war deshalb selbstverständlich, dass der Wiederaufbau nach dem Krieg nicht den Unternehmen und Märkten überlassen, sondern staatlich geplant wurde. Zweck der von Jean Monnet organisierten Wirtschaftsplanung war es, die französische Wirtschaft regional und branchenmäßig mit Hilfe eines „plan activ“ zu steuern. Tiefgreifender konnten die wirtschaftspolitischen Unterschiede zwischen Deutschland und Frankreich nicht sein.
Schäubles Grexit-Papier
Am Morgen des 13. Juli 2015 meldete der belgische Ministerpräsident über Twitter: „Agreement“. Die Staats- und Regierungschefs der Euro-Zone hatten sich in einer Marathon-Sitzung über die Eckpunkte eines dritten Hilfspakets für Griechenland geeinigt. Der Deutsche Bundestag stimmte den Ergebnissen des Gipfeltreffens zu, so dass der Weg für konkrete Vertragsverhandlungen frei war. Voraussetzung für die Zustimmung des Bundestages war aber die Beteiligung des IWF an dem Hilfspaket für Griechenland.
Im Ergebnis verständigten sich die Euro-Länder darauf, dass der Rettungsfonds ESM den Griechen weitere Finanzhilfen über insgesamt 90 Milliarden Euro zur Verfügung stellen wird, um den Staatskonkurs abzuwenden. Etwa 54 Milliarden Euro wurden benötigt, um die Tilgungs- und Zinsverpflichtungen gegenüber der EZB und dem IWF in den nächsten drei Jahren zu erfüllen. Hinzu kamen 25 Milliarden Euro, mit denen die griechischen Banken vor dem Zusammenbruch geschützt werden sollten. Mit weiteren 11 Milliarden Euro sollte der griechische Staat seine offenen Rechnungen, die Löhne und Renten bezahlen.
Merkels Verzicht auf die Euro-Regeln
Nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers im Herbst 2008 deutete wenig darauf hin, dass Griechenland zum nächsten Problemfall werden könnte. Auf das Land entfielen nur 2,0 Prozent der Wirtschaftsleistung Europas. Griechische Banken besaßen auch kaum Schrottpapiere aus den USA. Nur die Rating-Agenturen waren vorsichtiger. Anfang 2009 stuften sie das Land wegen steigender Staatsverschuldung und steigender Zinsen um eine Note auf A- herunter. Politischer Handlungsbedarf wurde daraus aber noch nicht abgeleitet.
Erst als der griechische Finanzminister im Oktober 2009 ein Haushaltsdefizit von 12 Prozent und mehr ankündigte, rückte Griechenland wieder auf die Tagesordnung. Es gab Warnungen aus Bankenkreisen. Die Rating-Agenturen setzten das Land auf die Note B herab. Hilfen für Griechenland waren aber weiterhin kein Thema. Wolfgang Schäuble erklärte der BILD: „Die Griechen haben jahrelang über ihre Verhältnisse gelebt. Wir Deutschen können nicht für Griechenlands Probleme zahlen.“
Angela Merkel weigerte sich ebenfalls, Griechenland finanzielle Hilfe in Aussicht zu stellen. Als sie in einem ARD-Interview gefragt wurde, ob es Finanzhilfen für Griechenland geben wird, antwortete sie: "Das ist ausdrücklich nicht der Fall." Selbst die EZB wollte hart bleiben. EZB-Chefvolkswirt Jürgen Stark sagte noch Anfang 2010: „Die Märkte täuschen sich, wenn sie davon ausgehen, dass andere Mitgliedsstaaten in die Brieftasche greifen, um Griechenland zu helfen.
Das gescheiterte „Europrojekt“
Der Euro ist ein europäisches Projekt, mit dem in erster Linie politische Ziele verbunden waren. Frankreich wollte mit dem Euro die Dominanz der D-Mark beseitigen. Deutschland hatte das Ziel, mit einer einheitlichen Währung die europäische Integration unumkehrbar zu machen.
Wirtschaftliche Sachgesetzlichkeiten mussten hinter den politischen Zielen zurücktreten. Unbeachtet blieb die Kritik der Euroskeptiker, dass das Eurogebiet wegen fundamentaler gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und staatlicher Unterschiede in den Mitgliedsländern kein optimaler Währungsraum ist. Die Befürworter des Euro setzten sich auch über die Zweifel hinweg, dass die traditionellen Weichwährungsländer im Süden Europas durch die gemeinsame Währung zu einer soliden Finanz- und Wirtschaftspolitik finden würden.
Die verfehlte Rettungsstrategie
Mit dem ESM haben die EU-Staaten einen dauerhaften Stabilitätsmechanismus zur Finanzierung notleidender Staaten im Euro-Raum geschaffen. In dem dazu neu gefassten Artikel 136 Absatz 3 AEUV sind die Voraussetzungen für seine Aktivierung festgelgt worden. Danach darf der ESM nur tätig werden, "wenn dies unabdingbar ist, um die Stabilität des Währungsraums insgesamt zu wahren. Die Gewährung aller erforderlichen Finanzhilfen im Rahmen des Mechanismus wird strengen Auflagen unterliegen".
Die Euro-Länder und der Internationale Währungsfonds (IWF) haben sich im Juli 2015 darauf verständigt, dass der ESM den Griechen weitere Finanzhilfen über insgesamt 90 Milliarden Euro zur Verfügung stellen wird, um den Staatskonkurs abzuwenden. Hierzu wurde zwischen der sog. Troika (Vertreter der EU, EZB und IWF) und der griechischen Regierung ein „memorandum of understanding“ unterzeichnet, in dem die erforderlichen Auflagen für die Gewährung der Finanzhilfen festgelegt wurden.
Es bestehen jedoch erhebliche Zweifel, ob die Finanzhilfen an Griechenland rechtlich zulässig, wirtschaftlich sinnvoll und politisch zweckmäßig sind.
Der politische Euro
Die Einführung des Euro war von Anfang an ein politisches Projekt, mit dem die Beteiligten unterschiedliche Ziele verbanden. Frankreich hatte nationale Ziele: Es ging es darum, die starke Deutsche Mark, die in Europa faktisch als Leitwährung fungierte, durch eine europäische Währung und die Deutsche Notenbank durch eine Europäischen Zentralbank (EZB) zu ersetzen. Damit sollte der verloren gegangene französische Einfluss auf die Geld- und Währungspolitik wieder hergestellt werden.
Demgegenüber verfolgte Bundeskanzler Helmut Kohl mit der Einführung des Euro das Ziel, die europäische Integration mit Hilfe einer Währungsunion voranzutreiben und unumkehrbar machen. „Der Weg zur Europäischen Einheit ist unumkehrbar. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft sind jetzt für die Zukunft in einer Weise miteinander verbunden, die ein Ausbrechen oder einen Rückfall in früheres nationalstaatliches Denken mit all seinen schlimmen Konsequenzen unmöglich macht“, sagte er im Dezember 1991 nach Abschluss der Verhandlungen in Maastricht über die Einführung des Euro. Sein Ziel war ein vereinigtes Europa, das man sich als einen europäischen Bundesstaat vorstellte. "Deshalb hatte ich keinen Zweifel daran, dass die Politische Union in allen Bereichen rasch an Substanz gewinnen und in einigen Jahren insgesamt in einem klaren Gemeinschaftsrahmen stehen würde", schrieb Helmut Kohl später in seinen Erinnerungen.