Der Kulturkampf in den USA
Einleitung
Die Vereinigten Staaten von Amerika gelten seit jeher als ein Land, in dem Freiheit, Individualismus und Demokratie zentrale Werte darstellen. Doch diese Werte sind keineswegs statisch, sondern werden seit Jahrzehnten im Spannungsfeld politischer, sozialer und kultureller Auseinandersetzungen immer wieder neu verhandelt. Besonders in den letzten Jahren hat sich ein scharfer Kulturkampf entwickelt, der das politische und gesellschaftliche Leben in den USA prägt. Fragen von Identität, Religion, Geschlecht, Rasse und Geschichte stehen dabei im Zentrum.
Historische Wurzeln des Kulturkampfes
Die Idee eines Kulturkampfes in den USA ist nicht neu. Anfangs bestimmten die weißen, angelsächsisch-protestantischen Amerikaner die kulturellen Normen: Sprache, Religion, Arbeitsmoral und Familienwerte. Doch bereits im 19. Jahrhundert prallten verschiedene kulturelle Strömungen aufeinander: Die konservativen protestantischen Werte gerieten in Konkurrenz zu den kulturellen Werten der Einwanderer und dem wachsenden Säkularismus in den Städten.
Auch die liberalen Auseinandersetzungen um die Bürgerrechtsbewegung in den 1950er- und 1960er-Jahren (Civil Rights, Black Lives Matter), die Debatten um den Vietnamkrieg oder um Feminismus und sexuelle Befreiung in den 1970er-Jahren trugen zu einer gesellschaftlichen Polarisierung bei. Auf der anderen Seite war die politische Mobilisierung der sogenannten „Religious Right“ seit den 1980er-Jahren, die christlich-konservative Werte offensiv in den politischen Diskurs einbrachte, ein entscheidender Grund für die wachsende Polarisierung. Themen wie Abtreibung, gleichgeschlechtliche Ehe oder die Rolle der Religion in Schulen bildeten die zentralen Streitfelder.
Außerdem wurde der offene und verdeckte Rassismus, offenbar ein Geburtsfehler der amerikanischen Demokratie, nie wirklich überwunden. Obwohl es sich bei den USA um das Einwanderungsland par excellence handelt, lässt sich derzeit mit Fremdenfeindlichkeit und Furcht vor Migration wirkungsvoll Propaganda machen.
Aktuelle Brennpunkte
Heute manifestiert sich der Kulturkampf in verschiedenen gesellschaftlichen und politischen Debatten:
1. Identitätspolitik und „Wokeness“: Besonders seit den Protesten im Zuge der Black-Lives-Matter-Bewegung 2020 rückte die Frage nach Rassismus und sozialer Gerechtigkeit stärker in den Fokus. Konservative Stimmen kritisieren diese Entwicklung als „übertrieben“ oder „spaltend“ und werfen linken Bewegungen vor, eine „Cancel Culture“ zu fördern.
2. Bildungssystem: Ein besonders heftig umkämpftes Feld ist die Schule. Streit entzündet sich zum Beispiel an der Frage, ob Themen wie systemischer Rassismus, Genderidentitäten oder sexuelle Vielfalt im Unterricht behandelt werden sollen. Konservative Bundesstaaten haben Gesetze erlassen, die den Unterricht zu diesen Themen einschränken.
3. Gender und LGBTQ+-Rechte: Transgender-Rechte, die Nutzung von Toiletten nach Geschlechtsidentität oder die Teilnahme von Trans-Personen im Sport sind hochumstrittene Themen. Während progressive Kräfte auf Gleichberechtigung drängen, sehen konservative Gruppen darin eine Bedrohung traditioneller Werte.
4. Abtreibung: Das Urteil des Supreme Court im Juni 2022, das „Roe v. Wade“ aufhob, hat den Kulturkampf erneut verschärft. Nun liegt die Entscheidung über Abtreibungsrechte bei den Bundesstaaten, was zu einem Flickenteppich unterschiedlicher Regelungen führt.
5. Medien und digitale Räume: Der Kulturkampf wird heute maßgeblich über soziale Medien ausgetragen. Plattformen wie Twitter (heute X), TikTok oder Facebook verstärken polarisierende Tendenzen und schaffen Echokammern, in denen politische und kulturelle Narrative radikalisiert werden.
6. Museen und Bibliotheken: Die USA feiern im kommenden Jahr ihre vor 250 Jahren erkämpfte Unabhängigkeit von Großbritannien. Dieses Ereignis nimmt Trump zum Anlass, aktiv in die Erinnerungkultur der USA einzugreifen. Dazu gehört z. B. ein Brief des Präsidenten an das Smithsonian in Washington, mit dem das Weiße Haus eine "interne Überprüfung" aller Inhalte und Aktivitäten zur Geschichte der USA ankündigt. Ziel der Regierung sei es, eine "vereinende, historisch akkurate Darstellung" der amerikanischen Geschichte sicherzustellen.
7. Wissenschaft und Forschung: Für die radikalen Konservativen in den USA ist die Wissenschaft eine Macht, die bekämpft werden muss (War on Science). Dabei geht es zum einen um den Glauben dieser fundamentalistischen religiösen Gruppen, dass es sich bei der wissenschaftlichen Aufklärung um Teufelswerk handelt, und zum anderen um den Kampf gegen die Zentralregierung, die sich wissenschaftlich beraten lässt. Diese religiös-konservative Bewegung ist der Überzeugung, dass die Bundesregierung viel zu mächtig geworden ist und die Wissenschaft dieser Macht als Instrument dient.
8. Waffen und Sicherheit: Auf verlorenem Posten im Kulturkampf der USA sind seit jeher die Stimmen, die eine Einschränkung des privaten Waffenbesitzes oder ein entschlossenes Vorgehen gegen Polizeigewalt fordern. Mit der American Rifle Association hat die Waffenlobby eine mächtige Institution. Nichts kennzeichnet den amerikanischen Kulturkampf auf konservativer Seite besser als der "weiße Mann mit der Schusswaffe in der Hand".
Politische Dimensionen
Die Polarisierung zwischen Demokraten und Republikanern hat sich in den letzten Jahrzehnten erheblich verschärft. Kulturelle Fragen sind dabei oft wichtiger als klassische wirtschaftliche oder politische Themen. Während die Demokraten stärker progressive Werte wie Diversität, Minderheitenrechte und LGBTQ+-Rechte betonen, setzen Republikaner vor allem auf den Schutz traditioneller Familienstrukturen, religiöser Werte und nationaler Identität.
Nach diesen beiden Mustern unterscheiden sich auch die Wählergruppen: Die Demokraten ("Blue America") werden eher in den urbanen multiethnischen Zentren von säkularen und progressiven Menschen gewählt. Demgegenüber rekrutieren die Replublikaner ("Red America") ihre Wähler vorwiegend aus ländlichen Gegenden mit einer weißen und traditionell religiösen Bevölkerung.
Donald Trump spielte bei dieser Polarisierung schon als Präsident in den Jahren 2017 bis 2021 eine entscheidende Rolle, indem er den Kulturkampf rhetorisch verschärfte. Nach seiner erneuten Ernennung im Jahr 2025 verstärkte er diesen Kurs: Themen wie „Gender Ideologie“, „biologische Realität“, "DEI-Programme" werden noch intensiver angegriffen. Seine Anhänger sehen in ihm den Kämpfer gegen „politische Korrektheit“ und „liberale Eliten“, während seine Gegner ihn als Spalter betrachten.
Donald Trump hat verstanden, dass politische Herrschaft nicht nur durch staatlichen Zwang (Polizei, Militär), sondern auch durch "kulturelle Hegemonie" gewonnen und stabilisiert werden kann, indem die herrschende Partei ihre Werte, Normen und Weltbilder in der Gesellschaft als "natürlich" oder "besser" verankert. Trump knüpft dabei an die "WASP-Kultur" (weiß, angelsächsisch, protestantisch) an, die lange als hegemoniale Kultur fungierte. Sie prägte Arbeitsmoral, Religiösität, Sprache und politische Institutionen. Die Kulturen von Minderheiten (indigen, afroamerikanisch etc.) galten demgegenüber als "defizitär" oder "abweichend".
Gesellschaftliche Folgen
Die Folgen des Kulturkampfes sind tiefgreifend: Umfragen zeigen, dass viele Amerikaner nicht nur in politischen Fragen uneins sind, sondern auch in Fragen des Alltags: Welche Medien sie konsumieren, welche Schulen sie wählen, sogar in welchen Vierteln sie leben. Das Vertrauen in Institutionen wie den Supreme Court, die Medien oder das Bildungssystem ist stark gesunken.
Zudem verstärkt sich eine Tendenz zur geografischen und kulturellen Segregation: Konservative Menschen leben eher in ländlichen Regionen oder im Süden der USA, progressive eher in Großstädten und an den Küsten. Dieses Phänomen wird auch als „The Big Sort“ bezeichnet.
Auf der anderen Seite gibt es zahlreiche Proteste gegen Trumps Politik: Die "50501" Bewegung ("Day of Action") organisierte zum Beispiel Demonstrationen in hunderten Städten gegen Trump. Auch an den sog. "No Kings"-Protesten, die sich gegen Trumps Militarisierung und seine Selbstdarstellung richten, nahmen im Juni 2025 Millionen von Menschen teil.
Außerdem kritisieren große Medienunternehmen zunehmend Trumps Vorstöße, insbesondere wenn sie demokratische Institutionen oder die Pressefreiheit betreffen. 100 solcher Unternehmen haben zum Beispiel in einem offenen Brief gegen Trumps Visa-Politik protestiert, die ausländischen Journalisten die Arbeit erschweren. Außerden wird Trumps Umgang mit Russland in den Kommentaren vieler Medien zunehmend kritisch gesehen.
Nicht zu unterschätzen ist auch der Widerstand durch Gerichte, Kommunalpolitik und NGOs. Gerichte und Anwaltsorganisationen unterstützen Bundesbedienstete, denen rechtswidrig gekündigt wurde. Auf kommunaler Ebene bemühen sich Bürgermeister, Trumps Anordnungen gegen illegale Einwanderer zu unterlaufen. NGOs und Bürgerrechtsorganisationen helfen aktiv bei der Abwehr unzulässiger Eingriffe durch Hilfspolizisten.
Ausblick
Der Kulturkampf in den USA wird voraussichtlich nicht so bald abflauen. Vielmehr könnte er sich im Verlauf der Präsidentschaft von Donald Trump und darüber hinaus sogar noch intensivieren. Themen wie Migration, Klimapolitik und technologische Umbrüche (z. B. durch Künstliche Intelligenz) können weitere Konfliktlinien schaffen.
Gleichzeitig stellt sich die Frage, ob es Brücken zwischen den Lagern geben kann. Einige Stimmen plädieren für eine Rückkehr zu einer pragmatischen Politik, die gemeinsame Probleme wie Infrastruktur oder Gesundheitsversorgung in den Vordergrund stellt. Andere befürchten jedoch, dass die kulturelle Spaltung zu tief ist, um in absehbarer Zeit überwunden zu werden.
Fazit
Der gegenwärtige Kulturkampf in den USA ist das Ergebnis einer langen historischen Entwicklung, die sich an neuen gesellschaftlichen Konflikten entzündet hat. Er zeigt, wie sehr kulturelle Identität und Wertefragen die politische Landschaft bestimmen. Ob es gelingt, eine Balance zwischen Tradition und Fortschritt zu finden, wird entscheidend für die Zukunft der amerikanischen Demokratie sein.