Spiegel-Interview zur Energiewende
In seiner Ausgabe 2/2024 hat der SPIEGEL ein Interview mit dem Ingenieur Andreas Schell über den Stand der Energiewende veröffentlicht, das Aufmerksamkeit verdient. Andreas Schell ist seit Ende 2022 Unternehmenschef des Energiekonzerns EnBW Baden-Württemberg. Bis zu seinem Eintritt in die EnBW gehörte er dem Executive Team des Rolls-Royce Konzerns an und leitete als CEO die Rolls-Royce Power Systems AG.
Den Redakteuren des Spiegels ist es in dem Interview gelungen, Andreas Schell die richtigen Fragen zum derzeitigen Stand der deutschen Energiewende zu stellen. Seine Antworten darauf waren bemerkenswert offen und zeigten, wie brüchig dieses Großprojekt weiterhin ist.
Schon auf Ihrer Webside sagt die EnBW zur Energiewende : „Zu langsam. Zu wenig. Zu spät. Es wird viel gejammert, wenn es um die Energiewende und ihr Vorankommen geht. Und ja: Es müsste mehr getan werden und schneller gehen. Aber: In Deutschland geht es ein bisschen zu oft um all die Dinge, die heute noch nicht so laufen wie gewünscht, sagte der EnBW-Vorstandsvorsitzende Andreas Schell kürzlich im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung und warb für mehr Optimismus. Denn sie schreitet voran, die Energiewende. Zugegeben, in kleinen Schritten, aber dennoch spürbar.“
Nachfolgend werden die Antworten von Andreas Schell im Interview mit dem Spiegel in Kurzform wiedergegeben:
Auf die Frage des SPIEGEL, warum EnBW die erneuerbaren Energien als tragende Säule des Konzerns bezeichnet, obwohl im Ländle kaum Windräder gebaut werden und die Stromversorgung weiterhin von der Kohle abhängig ist, antwortete Schell, dass EnBW einen geförderten Windpark in der Ostsee und einen nicht geförderten Windpark in der Nordsee betreibt. Windräder an Land spielen laut Schell im Ländle keine wesentliche Rolle, weil der Wind dort nicht ausreichend bläst.
Auf die Frage des SPIEGEL, ob die Energiewende zu scheitern droht, weil Deutschland weiterhin von der Kohle abhängig ist, die Netze ein Nadelöhr darstellen und die Netzentgelte hoch sind, meinte Schell, es sei ganz schlecht, mittendrin abzubrechen. Deutschland und die EU haben gesetzlich festgelegte Klimaschutzziele, die zu erfüllen sind. Er gab aber zu, dass der Weg seit dem Krieg in der Ukraine und dem extremen Anstieg von Gas- und Strompreisen schwieriger geworden ist.
Auf das Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts angesprochen, wonach der Klima- und Transformationsfonds um 45 Milliarden geschrumpft ist, machte Schell den Vorschlag, die Energiewende möglichst privatwirtschaftlich zu finanzieren. „Wir brauchen einen Plan und keine Planwirtschaft“, sagte er.
Unter diesem Aspekt sollte man auch die Haushaltsentscheidung beleuchten. Die vom Bund zur Dämpfung der Stromnetzentgelte zugesagten 5,5 Milliarden, die den Netzbetreibern jetzt fehlten, würden zu höheren Preisen für die Verbraucher führen.
Vom SPIEGEL auf die Ausschreibung des Bundes für neue Offshore-Windparks angesprochen, bei der EnBW leer ausgegangen war und ausländische Mineralkonzerne den Zuschlag erhalten hatten, empfahl Schell, die zukünftigen Auktionsbedingungen zu ändern, um den Strom für den deutschen Markt zu sichern. Denn mit einer Verknappung des Angebots werde der Strom teurer als geplant, was vermieden werden müsse.
Auf die Frage, ob Schell über die hohen Zinsen und steigenden Materialpreise für Windparks besorgt sei, antwortete er, dass es in Europa nur noch drei Zulieferer für Offshore-Windturbinen gibt, so dass man auf China angewiesen sei. Es sei deshalb auch richtig gewesen, den Anlagenbauer Siemens Energy mit Staatsgarantien zu helfen.
Die Rolle Chinas bei der Fotovoltaik sah Schell kritisch. Mehr als 90 Prozent der Wertschöpfung in der Solarbranche käme aus China. Prinzipiell wäre er bereit, mehr Komponenten aus europäischer Fertigung einzusetzen, dafür bekäme er aber kein zusätzliches Geld auf dem Energiemarkt. Zusammen mit RWE setze er sich für sogenannte Resilienz-Ausschreibungen ein, die dem Investor einen finanziellen Ausgleich für den Einbau von Modulen aus europäischer Produktion gewähren.
Die Frage des SPIEGEL, ob der von EnBW geplante Ausstieg aus der Kohle bis 2028 nicht ein Fehler wäre, beantwortete Schnell mit einem Nein, wenn die richtigen Rahmenbedingungen kämen. Die finanzierenden Banken hätten eine nachvollziehbare Klimastrategie erwartet, weil der hohe Anteil der Kohle am Strommix der EnBW für sie ein Problem sei.
Laut Schell braucht EnBW für den Ausstieg bis 2028 flexible Gaskraftwerke für Tage mit wenig Wind und Sonne. Da wäre der Bund mit seiner Kraftwerksstrategie gefordert. Signale, dass sich das verzögern könnte, seien nicht gut. Denn EnBW wäre schon mit dem Umbau von Kohlekraftwerken in Vorlage getreten.
Vom SPIEGEL nach der Zahl der benötigten Gaskraftwerke gefragt, bezifferte Schell die erforderliche Leistung für Baden-Württemberg auf 5 bis 7 Gigawatt, für Deutschland auf 20 bis 30 Gigawatt. Diese Kraftwerke würden sich aber nicht allein über die verkauften Energiemengen finanzieren lassen. Sie sollten ja möglichst wenig laufen, also nur, wenn nicht genügend Strom aus Sonne oder Wind zur Verfügung steht. Das ginge nur, wenn die Marktpreise in diesen Zeiten stark steigen würden oder wenn die vorgehaltene Kapazität „honoriert“ würde, entweder in Form eines einmaligen Investitionszuschusses oder einer dauerhaften Vergütung.
Auf die Frage des SPIEGEL, ob für den erforderlichen massiven Ausbau der Stromnetze – allein für den Ausbau der überregionalen Netze sind 126 Milliarden Euro veranschlagt – genug privates Kapital mobilisiert werden kann, sagte Scheel: „Das hängt davon ab, ob die Verzinsung der Investitionen hoch genug ist.“ Die Investoren gingen dahin, wo sie die höheren Erträge erhalten. Die Finanzierung über Netzentgelte habe in Zeiten, in denen die Netze nur erhalten oder geringfügig erweitert werden mussten, gut funktioniert. In den nächsten Jahren müssten die Übertragungsnetze aber so ausgebaut werden, dass sie mehr als 30 Prozent Strom transportieren können. Zudem drohten Engpässe bei Lieferanten und Fachkräften.
Auf den Hinweis des SPIEGEL, dass die neuen Stromautobahnen in die Erde zu verlegen sind, was deutlich mehr kostet, empfahl Scheel, das jetzt so durchzuziehen, um zu einem Ergebnis zu kommen. Bei weiteren Leitungen sollte man sich aber auch bei fehlender Akzeptanz für Überlandleitungen entscheiden, wodurch 20 Milliarden Euro eingespart werden könnten. Die Industrie brauche vor allem wettbewerbsfähige Strompreise.
Der SPIEGEL fragte Scheel schließlich, ob mit der Übernahme des Netzbetreibers Tennet durch den Bund und mit den Beteilungen des Bundes an 50Hertz sowie an den Gashändlern Uniper und Sefe die Liberalisierung der Energiemärkte, die mehr Wettbewerb und bessere Angebote für die Kunden bringen sollten, zurückgedreht werden soll. Hierzu erklärte Scheel, dass die Liberalisierung in einer Zeit stattgefunden habe, als noch nicht derart große Investitionen notwendig waren. Nach dem Krieg in der Ukraine müsse jedoch geklärt werden, was besser in der Privatwirtschaft beheimatet ist und welche Aspekte der Energiewende der Staat übernehmen soll.
Dem hielt der SPIEGEL entgegen, dass es letztlich darum geht, wer die Lasten der Energiewende trägt. Energie werde für den Bürger teurer, weil der Bund die CO2-Steuer erhöhe, den Zuschuss zu den Netzentgelten aber selbst einstreiche. Scheel räumte ein, dass sich die Belastungen der Bürger in einer Übergangsphase erhöhen werden. „Aber wir werden am Ende ein neues System haben, das günstigeren Strom liefert. Sonne und Wind stellen keine Rechnung.“
Fazit:
Das Spiegel-Interview mit Andreas Schell macht deutlich, wie sich Klimapolitiker und Energieunternehmen den Weg zur Klimaneutralität vorstellen. Es zeigt aber auch auf, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, um dieses Ziel zu erreichen. Dabei handelt es sich zum Teil um bloße Annahmen oder sogar Wunschdenken. Dazu gehört insbesondere der von Andreas Scholl geäußerte Wunsch, dass wir „einen Plan und keine Planwirtschaft“ brauchen. Das gesetzliche System der Energiewende stellt schon heute eine staatliche Planwirtschaft dar.
Auch die im Interview von Andreas Schell geäußerten Vorstellungen zur Verteilung der Lasten der Energiewende zwischen Staat und Bürgern sind unrealistisch. Die Mobilisierung privatwirtschaftlichen Kapitals wird nur gelingen, wenn der Staat bereit und in der Lage ist, die Energiewende spürbar zu subventionieren. Das gilt insbesondere für die Gaskraftwerke, die nur in Zeiten ohne Wind oder Sonne Strom produzieren sollen. Auch der Absatzrückgang bei den E-Autos, nachdem die Verkaufsprämie gestrichen wurde, zeigt die Abhängigkeit der Energiewende von staatlichen Subventionen.
p.s.
Nach nur 17 Monaten gab Andreas Schell den Vorstandsposten bei EnBW auf. Laut FAZ konnte er den Aufsichtsrat nicht von seinen Ideen überzeugen. Sein Nachfolger wurde Georg Stamatelopoulos, der bei EnBW für den Umbau von den konventionellen Kraftwerken in Richtung erneuerbare Energien zuständig war.