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Reform- und Steuerpolitik : Das finanzpolitische Debakel der Ampelkoalition
25.11.2023 18:17 (150 x gelesen)

Das finanzpolitische Debakel der Ampelkoalition

1.
Das Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 15. November 2023 war für die Ampelkoalition in Berlin ein Paukenschlag.  Auf en Antrag von Mitgliedern der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag erklärte es das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021 wegen Verstoßes gegen die grundgesetzliche Schuldenbremse für nichtig und zeigte der Bundesregierung damit klare Grenzen in der Haushaltspolitik auf.  
Ein solche Entscheidung hatte man von den Richtern in Karlsruhe nicht erwartet. Das Urteil trifft die Ampelregierung ins Mark und macht deutlich, dass SPD, Grüne und FDP eine Regierungskoalition ohne tragfähiges Fundament für ihre ambitionierten Ziele eingegangen sind. Um genügend Geld für ihre Programme zu bekommen, verstießen sie gegen zentrale Haushaltsgrundsätze und die Schuldenbremse.

Die finanzpolitischen Vorstellungen von SPD, Grünen und FDP lagen bei den Koalitionsverhandlungen weit auseinander. Die SPD forderte mehr Geld für Soziales, die Grünen wollten ihre teuren Transformationspläne umsetzen; der FDP waren der Verzicht auf Steuererhöhungen und die Einhaltung der Schuldenbremse wichtige Anliegen. Das passte alles nicht zusammen, mit einer „aktiven“ Politik wollte man aber das Unmögliche möglich machen.   

Dazu zeigte der findige Haushaltsstaatssekretär Werner Gatzer (SPD) dem angehenden neuen Finanzminister Christian Lindner (FDP), wie man mit Buchhaltungstricks alle zufrieden stellen kann. Mit dem Zweiten Nachtragshaushaltsgesetz 2021 verschob Gatzer eine im Bundeshaushalt 2021 als Reaktion auf die Corona-Pandemie vorgesehene, jedoch im Haushaltsjahr 2021 nicht unmittelbar benötigte Kreditermächtigung in Höhe von 60 Milliarden Euro in den „Energie- und Klimafonds“ (EKF), um das Geld dort für die teuren Klimaschutz- und Industriepläne zu bunkern. Die Zuführung erfolgte im Februar 2022 – also rückwirkend – für das bereits abgeschlossene Haushaltsjahr 2021. Der EKF wurde zwischenzeitlich in „Klima- und Transformationsfonds“ (KTF) umbenannt.

Der Zweck dieses Manövers bestand darin, die unterschiedlichen und unvereinbaren Vorstellungen von SPD, Grünen und FDP zusammenführen, um damit die Bildung der Ampelkoalition zu ermöglichen. Das darin liegende Risiko musste den Verantwortlichen eigentlich bekannt gewesen sein.

2.

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat dieses Spiel beendet, indem er den Nachtragshaushalt 2021 für „nichtig“ erklärte. Die Entscheidung hat zur Folge, dass sich der Umfang des KTF um 60 Milliarden Euro reduziert. Soweit hierdurch bereits eingegangene Verpflichtungen nicht mehr bedient werden können, muss der Haushaltsgesetzgeber dies in anderer Form kompensieren.

Das Urteil beruht auf den folgenden drei tragenden Gründen:   

Der Haushaltsgesetzgeber darf die in der Schuldenbremse des Grundgesetzes (Art. 115 Abs.2 GG) festgelegten Kreditobergrenzen nur im Fall von Naturkatastrophen und außergewöhnlichen Notsituationen überschreiten. Darüber hinaus ist ein sachlicher „Veranlassungszusammenhang“ zwischen der Notsituation und der Überschreitung der Kreditobergrenze erforderlich. Dem Gesetzgeber kommt ein Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum zu, der jedoch konkret darzulegen ist. Nach Ansicht des Gerichts hat der Gesetzgeber den Veranlassungszusammenhang zwischen der behaupteten Notsituation und dem Zweiten Nachtragshaushalt 2021 nicht ausreichend dargelegt.

Das Urteil stellt außerdem klar, dass nicht jede Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Abläufe eine außergewöhnliche Notsituation im Sinne des Art. 115 Abs. 2 Satz 6 GG darstellt. Die Folgen von Krisen, die „lange absehbar waren oder gar von der öffentlichen Hand verursacht worden sind“, dürfen z.B. nicht mit Notkrediten finanziert werden. Die Klimakrise ist deshalb  keine Krise im Sinne der Schuldenbremse (Lars P. Feld in FAZ vom 21. Nov. 2023).

Darüber hinaus beanstandet das Gericht, dass der Gesetzgeber mit dem Zweiten Nachtragshaushalt 2021gegen mehrere Haushaltsprinzipien verstoßen hat. Als Planungsinstrument sind öffentliche Haushalte vor Beginn des Wirtschaftsjahres einzubringen und zu beschließen. Dagegen verstieß der Gesetzgeber, weil er den Nachtragshaushalt für 2021 erst im Jahr 2022 beschloss.

Außerdem gelten Haushaltspläne grundsätzlich für ein volles Wirtschaftsjahr, so dass Kreditermächtigungen nur bis zum Ende des Haushaltsjahres in Anspruch genommen werden können. Anschließend verfallen sie ersatzlos, so dass die Kreditermächtigungen mit Ende des Haushaltsjahres 2021 ausliefen.

Zudem wurden dem KTF mit dem Nachtragshaushaltsgesetz für das Jahr 2021 kreditfinanzierte Mittel (60 Milliarden Euro) zugeführt, die sich im Rahmen der Schuldenbremse für das Jahr 2021 auswirkten, während die vom Gesetzgeber zur Krisenbewältigung ins Auge gefassten Maßnahmen für kommende Haushaltsjahre geplant war. Dies war mit dem Haushaltsgrundsatz, wonach für ein Haushaltsjahr bewilligte Mittel auch in diesem Jahr kassenwirksam zu verwenden sind, nicht zu vereinbaren.

An diesen Maßstäben gemessen, ist der Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021 mit dem Grundgesetz (Art. 110 Abs.2 Satz 1 GG) nicht vereinbar.

Auf die Frage aus der Unionsfraktion an Bundeskanzler Olaf Scholz, ob er persönlich für die mehrfachen Rechtsverstöße verantwortlich ist, antwortete dieser: „Wir haben uns um eine verfassungsmäßige Lösung bemüht.“  Er sei stolz darauf, dass die Koalition das Urteil achten werde, „auch wenn wir vorher anderer Meinung waren.“

3.

Doch damit war das Spiel aber noch nicht beendet: Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) drohte der Ampelregierung im Streit um den Haushalt 2024 mit einem weiteren Gang nach Karlsruhe. Das Grundsatzurteil zur Schuldenbremse bedeutete nach Meinung von Merz „das Ende aller Schattenhaushalte, die schuldenfinanziert sind“. Wenn die Ampelkoalition ihre Haushaltsplanungen nicht entsprechend anpasse, werde man abermals vor das Bundesverfassungsgericht ziehen müssen, um geordnete Finanzverhältnisse herzustellen.

Besonders kritisch sahen Merz und andere in der Union den Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF), der aus dem Frühjahr 2020 stammt, als die damals regierende Große Koalition Corona-Hilfen für die Wirtschaft beschloss. Aus Mitteln des WSF wurden während der Pandemie große Unternehmen wie die Lufthansa und TUI sowie größere mittelständische Unternehmen mit Krediten und Eigenkapital gestützt.

Im Herbst 2022 bekam der Nebenhaushalt dann eine neue Bestimmung: Die Ampel beschloss, ihn zur Abfederung der Folgen der Energiekrise für Bürger und Unternehmen auszubauen. Der Fonds wurde als „Doppelwumms“ mit Kreditermächtigungen in Höhe von 200 Milliarden Euro ausgestattet. Da jedoch die Preise für Gas und Strom schneller als erwartet wieder sanken, wurde nur ein Teil des bereit gestellten Geldes benötigt. Die Haushaltspolitiker sperrten deshalb den WSF vorläufig, bis Klarheit besteht, ob und in welcher Höhe auch er von dem Richterspruch aus Karlsruhe betroffen ist.

Sollte die Union tatsächlich auch gegen diesen Fonds vor das Verfassungsgericht ziehen, stünde die Regierung vor einem noch größeren Problem. Während beim KTF das Geld erst in den kommenden Jahren ausgegeben werden soll, sind die Zuschüsse aus dem WSF längst auf den Konten der Empfänger angekommen.

Der Ausgang eines weiteren Gerichtsverfahrens würde vor allem davon abhängen, in welcher Weise sich die Kreditaufnahme tatsächlich auf die jeweils behauptete Notlage zurückführen lässt, d.h. ob der erforderliche Veranlassungszusammenhang besteht und die Prinzipien ordentlicher Haushaltsführung eingehalten wurden.  

4.

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat in Teilen der deutschen Wirtschaft zu erheblicher Verunsicherung geführt. Besorgt wird gefragt, ob der Bund überhaupt noch in der Lage ist, die versprochenen Fördermittel für unternehmerische Investitionen aufzubringen. „Konsequenzen für das Ausgabeverhalten der öffentlichen Haushalte sind unvermeidlich“ beurteilte der Präsident des BDI, Siegfried Russwurm, die Aussichten. „Pauschale Ausgabensperren sind allerdings keine dauerhaft angemessene Lösung und führen erneut zur Verunsicherung von Unternehmen.“

Das Wirtschaftsministerium hat bereits ausgerechnet, dass das Wirtschaftswachstum im Jahr 2024 einen halben Punkt niedriger ausfallen wird, sollten die Fördermittel nicht fließen. Es geht um Batteriefabriken für E-Autos und Chipfabriken, den Hochlauf des Wasserstoffs, die Umstellung der Stahlindustrie und die Ertüchtigung des Bahnverkehrs, die angeblich ohne Fördermittel nicht stattfinden wird. Die Unternehmen seien auf dem Weg der Transformation, sagte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck der FAZ: „Sie brauchen aber Unterstützung, damit sie in unserem Land investieren. Und es ist eine Mär, dass in anderen Ländern das alleine der Markt richtet. Andere Länder unterstützen stützen ihre Wirtschaft massiv.“

Im Übrigen reagierte die Ampelkoalition auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts mit gespielter Gelassenheit und meinte, die Beratungen und Beschlussfassung zum Haushalt 2024 könnten planmäßig fortgeführt werden und noch 2023 mit einem Beschluss des Bundstages abgeschlossen werden. Dem widersprach der Verfassungsrechtler Hanno Kube, der für die CDU das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht führte. Er wies darauf hin, dass zunächst die Probleme des Haushalts 2022 geklärt werden müssten, bevor der Haushalt 2024 beschlossen werden könnte.  „Insgesamt muss also noch mal ein Kassensturz vorgenommen werden“, sagte Kube.

Die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag teilte diese Sichtweise . „Solange nicht Klarheit besteht über die umfassenden Auswirkungen des Karlsruher Urteils, können keine verlässlichen Aussagen getroffen werden, nicht über den Haushalt 2023, aber auch nicht über den noch zu beschließenden Haushalt 2024“, sagte der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion Matthias Middelberg. 

5.

Offensichtlich waren die von der Opposition vorgetragenen Bedenken zum Haushalt so gewichtig, dass die Ampel entschied, vom Bundestag für das Jahr 2023 einen Nachtragshaushalt beschließen zu lassen, um den offenkundig verfassungswidrigen Zustand zu heilen. Gleichzeitig schickte Finanzminister Christian Lindner seinen Haushaltsstaatssekretär Werner Gatzer in den vorläufigen Ruhestand.

Insgesamt stehen rund 45 Milliarden Euro im Feuer. In dieser Höhe leistete die Bundesregierung im Jahr 2023 Zahlungen ohne haushaltsrechtliche Grundlage, da die Kreditermächtigungen aus dem Klima- und Transformationsfonds (KTF) auf Grund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zum Ende 2022 verfallen sind.

Weil die Ampel den Kreditspielraum, den die Schuldenbremse lässt, für 2023 nur unter Rückgriff auf die verfallenen Kreditermächtigungen einhalten konnte, kann sie das Problem nur dadurch lösen, dass sie sich bei Einbringung des Nachtragshaushalts abermals auf die Notlage beruft. Die Begründung dafür lautet sinngemäß: "Mit dem Wissen von heute hätte man für dieses Jahr einen Notlagenbeschluss gefasst und zwar unter Verweis auf die drastische Sörung an den Gas- und Strommärkten."

Aber kommt die Ampel mit dieser Begründung durch? Das Jahr 2023 ist fast um, und die Märkte haben sich normalisiert. Der parlamentarische Geschäftsführer der Union, Thorsten Frei, sprach von einem "gewagten rechtlichen Manöver". Dem Deutschlandfunk sagte der CDU-Politiker: "Ich stelle es mir schwierig vor, dass man zu Beginn des Jahres nicht von einer Notlage spricht, wir allerdings die Grundlagen dessen, was jetzt zur Grundlage einer Notlage werden soll, im Grunde genommen vor einem Jahr schon hatten."

Dass die Union aber auch gegen den neuen Nachtragshaushalt klagen wird, ist nicht sicher. Es gibt Stimmen in der Partei, die von einem solchen Schritt abraten. Selbst Professor Hanno Kube, der Rechtsvertreter der Union im jüngsten Verfahren, soll den Absichten der Ampel-Regierung zugestimmt haben. Seine Einschätzung dürfte in dieser Sache Gewicht haben.


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