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Morgen fehlt uns Strom, schon heute fehlen Investoren
14.09.2024 00:19 (73 x gelesen)

Roland Koch, Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung

Morgen fehlt uns Strom, schon heute fehlen Investoren

In Deutschland brechen die Direktinvestitionen aus dem Ausland ein. Die Zahlen entwickeln sich dramatisch. Nach einer Untersuchung der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft Ernst & Young sank die Zahl der von ausländischen Unternehmen in Deutschland angekündigten Investitionsprojekte 2023 um zwölf Prozent im Vergleich zum Vorjahr, und damit auf den niedrigsten Stand seit dem Jahr 2013.

Wie konnte es dazu kommen? Es wäre angesichts der globalen Krisen unseriös, die Ursache auf nur einen bestimmten Punkt zu konzentrieren. Aber die sehr spezielle deutsche Energiepolitik ist unbestreitbar ein zentraler Faktor. Dabei geht es um zweierlei: Zum einen um den Preis der Energie. Zum anderen aber noch mehr um die Frage, ob die nötige Energiemenge überhaupt zur Verfügung steht. Bei der in modernen Industriestaaten selbstverständlichen Anforderung, jederzeit ausreichend Strom für die unternehmerische Aktivität im Inland zur Verfügung zu haben, hat Deutschland entscheidendes Vertrauen verloren. Schließlich geht es bei Standortentscheidungen nicht um politische Sprüche, sondern um harte physikalische und ökonomische Fakten.

 

Produktion nur noch, wenn der Wind bläst?

So musste die Bundesregierung von ihrem Ziel des vorgezogenen Kohleausstiegs bis zum Jahr 2030 abrücken, um absehbare Versorgungsengpässe schon zum Ende des Jahrzehnts zu vermeiden. In diesen Tagen wird durch einen Entwurf der Bundesnetzagentur für die Abschaffung des sogenannten „Bandlast-Privilegs“ das Ausmaß der sich anbahnenden Probleme öffentlich. Der sperrige Begriff sagt nichts anderes, als dass ein Unternehmen, das über mindestens 7.000 Stunden im Jahr eine kontinuierliche Menge Strom benötigt, dafür von Netzbetreibern einen Rabatt erhält. Durch solche kontinuierlichen Nutzer kann das Stromnetz besonders effektiv betrieben werden. Diese Kontinuität strebt die neue Energiepolitik gar nicht mehr an. Windstärke und Sonnenschein sollen Höhen und Tiefen des Verbrauchs bestimmen. Das führt zu einem Stop-and-Go bei stromintensiver Produktion, obwohl zur gleichen Zeit alle Produktion – bis hin zur besonders stromintensiven Stahlproduktion – auf Strom umgestellt werden soll. Wenn die Unternehmen sich an solche Produktionsbedingungen nicht anpassen und einen sogenannten „Lastverzicht“ nicht leisten können, ist mit Sonne und Wind keine Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Kein internationales Unternehmen lässt sich auf solche Stop-and-Go-Energieversorgung ein, die man bislang nur aus Entwicklungsländern kannte.

Wind- und Solar-Energie erfordern ein starkes Back-up

Also benötigt man zusätzlich zum System Wind/Sonne noch andere Kraftwerke jenseits von Kohle und – als Besonderheit in Deutschland –auch jenseits von Atomkraft. Doch das kostet. So wird vielen wohl erst

in diesen Tagen klar, dass die fehlende Finanzierung ausreichender Reservekapazitäten aus Gas-/Wasserstoff-Kraftwerken zur Konsequenz hat, dass nicht Kontinuität, sondern Volatilität zum Prinzip der industriellen Produktion gemacht werden soll. Mit dem beabsichtigten Ende des „Bandlast-Privilegs“ geht es also technisch nicht mehr um eine permanent gesicherte Stromversorgung, sondern um ein Energiesystem, das bestimmt, wann wer seinen Strom abrufen darf. Dunkelflauten, also dichte Wolken und Windstille, führen dann zum Produktionsstopp.

Für solche Situationen waren ursprünglich Reservekraftwerke geplant, doch dafür geht der Regierung das Geld aus. Gut 28 Gigawatt an gesicherter, allzeit verfügbarer Leistung aus Kohlekraftwerken gilt es bei der reinen Wind-/Sonne-Strategie zu kompensieren. Aber in der Koalition konnte man sich nur auf den Ersatz von zehn Gigawatt einigen. Ein Vabanquespiel zu Lasten der deutschen Industrie. Nicht zu vergessen: All diese Maßnahmen treiben die Kosten des Stromnetzes weiter in die Höhe.

Die Expertenkommission zum Energiewende-Monitoring der Bundesregierung stellt in ihrem aktuellen Monitoringbericht vom Juni 2024 unmissverständlich fest, dass Handlungsbedarf „in allen Bereichen der Energiewende“ besteht. Die Energiewende-Ampel steht überwiegend auf gelb.

In Bezug auf Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit und Umweltverträglichkeit der Energiewende kommen die Expertenkommission und der Bundesrechnungshof zu beängstigend gleichlautenden Bewertungen. Sie bewerten mit der „Energiewende-Ampel“

• die Entwicklung der Stromerzeugungskapazitäten aus Erneuerbaren Energien mit gelb, den Ausbau der Übertragungsnetze sowie den Umfang der Engpassmanagementmaßnahmen sogar mit rot;

• die Energiekosten – u. a. bezüglich des durchschnittlichen Strompreises privater Haushalte – mit gelb, den Indikator Energiearmut mit rot;

• die Umweltauswirkungen mit gelb (unter Berücksichtigung von Schadstoffemissionen, Flächeninanspruchnahme, Recycling und Ressourcenentnahmen).

Kurskorrekturen jetzt nötig

Ihr Urteil: Die Bundesregierung muss schnellstmöglich die aufgezeigten Risiken adressieren, damit die Energiewende gelingen kann.

Prinzip der Energieversorgung muss bleiben, dass die Verfügbarkeit von Strom für die industrielle Produktion unbedingt gesichert wird. Die Konsequenz der alleinigen Priorität von Wind und Sonne bedeutet, dass der überwiegende Teil der gesamten Kapazität zur Stromversorgung doppelt vorgehalten werden muss. Das führt das Gerede vom kostenlosen Strom durch Wind und Sonne ad absurdum. Für die kommenden zwei Jahrzehnte wäre die einfachste Maßnahme, die drei kürzlich stillgelegten Atomkraftwerke weiter zu nutzen. Andernfalls muss die errechnete Kapazität von 28 Gigawatt Stromproduktion mit umrüstbaren Erdgaskraftwerken abgesichert werden.

Derzeit betriebsbereite Kohlekraftwerke dürfen erst vom Netz gehen, wenn neue Kapazitäten geschaffen und die für die Versorgung Süddeutschlands existenziellen neuen Mega-Stromleitungen gebaut sind. Für die Kohlenutzung ist die einzige Befristung die Fertigstellung neuer Kapazitäten und Leitungen. Jede politische Frist verbietet sich.

Wir brauchen einen echten europäischen Strommarkt, nicht nur bei der Preisbildung, sondern auch bei der Leistungsfähigkeit der transnationalen Leitungsnetze. Davon sind wir derzeit aus egoistischen Motiven weit entfernt: Auch Deutschland hat – wohl aus Angst vor dem Import von Atomstrom – den einheitlichen europäischen Strommarkt lange behindert. Gerade Deutschland kann Versorgung und Preis auf Grund seiner bisherigen Alleingänge nur mit einem Neustart der europäischen Stromverteilung sicherstellen. Keine schöne Ausgangslage, aber die Vernunft gebietet, die Umkehr zu starten.

Kein Geld mehr für überflüssige Stromproduktion

Die Einspeisevergütungen infolge des deutschen EEG (Erneuerbare-Energien-Gesetz) sind schon lange falsch und kosten Milliarden Euro, die für die oben genannten Aufgaben dringend gebraucht werden. Wind- und Sonnenstromproduzenten erhalten bis heute für jede produzierte Kilowattstunde Strom auch dann Geld, wenn er nicht benötigt wird. Dieser Strom muss aber physikalisch verbraucht werden, und so zahlen wir unseren europäischen Nachbarn Geld, wenn sie ihn abnehmen. Das konnte man vor zwei Jahrzehnten als Anreiz zum Bau von Windrädern und Solaranlagen vielleicht für einige Jahre rechtfertigen. Aber in einer Zeit, in der Wind und Sonne die Regelproduzenten werden sollen, wird das Geld woanders dringend gebraucht. Wir reden nicht über Kleinigkeiten. Christof Bauer, Energieökonom an der TU Darmstadt, geht davon aus, dass ohne drastische Änderungen in den Fördermechanismen ab 2026 mit Kosten von mindestens 30 Milliarden Euro jährlich allein bei der Solarförderung zu rechnen sei.

Alles in allem sind das unverzüglich nötige Kurskorrekturen. Dabei bleibt zu hoffen, dass bereits angedachte Maßnahmen zur Preisstabilisierung, etwa die langfristige Finanzierung des Netzneubaus in Höhe von 300 Milliarden Euro, handwerklich sinnvoll umgesetzt werden. Erst wenn solche Korrekturen erfolgt sind, werden internationale Investoren wieder bereit sein, Deutschland überhaupt als Produktionsstandort zu erwägen. Es ist nicht die Lösung all unserer Wettbewerbsprobleme. Es ist nur eine neue Chance, weiterhin am Wettbewerb teilnehmen zu können.


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