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Ansprache an der Friedenseiche am 17. Juni 2010
06.03.2016 13:02 (1080 x gelesen)

Ansprache an der Friedenseiche

am 17.Juni 2010

(Harburger Schützengilde von 1528 e.V.)

Majestät, liebe Schützen, verehrte Gäste,

die Rede unter dieser Eiche hat sich traditionell dem Frieden zu widmen, dem Frieden unter den Völkern und dem inneren Frieden in unserem Land.

Was ist aktuell zu diesem Thema zu sagen? Drei Fragen drängen sich mir auf: Welche Aufgaben übernimmt die Bundeswehr bei ihren internationalen Einsätzen? Wie steht es um das Erfolgsmodell der Sozialen Marktwirtschaft? Und was wird aus dem Euro? Über diese Fragen möchte ich heute sprechen.

I

Der erste Gedanke gilt dem äußeren Frieden. Nach zwei verlorenen Weltkriegen gehört internationale Friedenspolitik zur deutschen Staatsraison. Niemand käme in Deutschland heute auf die Idee, "den Krieg als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln" zu verstehen. Einigungskriege - wie sie Otto von Bismarck geführt hat - sind heute nicht mehr denkbar. Die Wiedervereinigung ist das Ergebnis einer "friedlichen Revolution" in der ehemaligen DDR gewesen.

Doch wie steht es um diese Friedenspolitik in einer globalisierten Welt? Die Bundeswehr ist in vielen Regionen der Welt in internationalen Missionen tätig, um - wie es heißt -  "dort Frieden wieder herzustellen oder ihn zu stabilisieren". Handelt es sich dabei tatsächlich in allen Fällen um Friedenseinsätze?

Bislang waren 278.000 deutsche Soldaten in einem Auslandseinsatz. Es hat Tote und Verwundete gegeben. Die Zahl der Soldaten mit posttraumatischen Störungen ist rapide gestiegen. Viele Einsätze finden in Bürgerkriegsgebieten statt.

Im Fall der Afghanistan-Mission hat der Bundesverteidigungsminister inzwischen klargestellt, dass sich unsere Soldaten in einem "Krieg" befinden. Die hochgerüsteten Kämpfer stehen dort fanatischen Stammeskriegern gegenüber, die von den Einheimischen, die es zu schützen gilt, kaum zu unterscheiden sind.

Die Klarstellung des Verteidigungsministers war im Interesse der Wahrheit und unserer Soldaten notwendig. Damit stellen sich aber Fragen: Welchen Auftrag haben unsere Soldaten in Afghanistan? Sind sie dafür ausreichend ausgerüstet? Ist der Krieg zu gewinnen? Wie kann man ihn beenden? Niemand hat darauf eine befriedigende Antwort.

II

Beim zweiten Gedanken geht es um den inneren Frieden. Zu den Konstanten der deutschen Nachkriegspolitik gehört die von Ludwig Erhard geschaffene Soziale Marktwirtschaft. Das Charakteristische dieser Wirtschaftsordnung besteht darin, dass sie den wirtschaftlichen Erfolg in einzigartiger Weise mit dem sozialen Ausgleich verbindet. Dies war und ist das Fundament für den sozialen Frieden in unserem Lande.

Angesichts der Finanz- und Wirtschaftskrise und der immensen Staatsverschuldung stellt sich aber die Frage, ob wir uns darauf auch zukünftig verlassen können.

In dem Konzept von Ludwig Erhard war die Sozialpolitik ein integraler Bestandteil des marktwirtschaftlichen Systems. "Der Markt ist sozial, er muss nicht sozial gemacht werden", war sein Credo. Die Politik ist aber einen anderen Weg gegangen und hat dem Staat die Verantwortung für die soziale Sicherheit übertragen. Seitdem sind die Ansprüche und Leistungen ins Gigantische gestiegen. Der Sozialbereich beansprucht inzwischen mehr als ein Drittel des Volkseinkommens und mehr als die Hälfte des Bundeshaushalts.

Die stetig steigende Staatsverschuldung signalisiert bereits das Ende dieser Sozialpolitik ohne Grenzen. Der Wohlfahrtstaat hat jahrzehntelang über seine Verhältnisse gelebt. Steigende Abgaben und Steuern für die Mittelschichten sind die andere Seite dieser Entwicklung. Nun müsste der Rückbau einsetzen. Aber wird dies gelingen?

Wir brauchen eine grundsätzliche Reform der sozialen Sicherung, die sowohl zukunftsfähig als auch mehrheitsfähig ist. Davon wird entscheidend abhängen, ob der innere Frieden auch zukünftig gewahrt bleibt.

III

Der dritte Gedanke gilt Europa. Die europäische Einigung ist eine Erfolgsgeschichte. Sie hat nicht nur den Frieden in Europa sicherer gemacht, sondern auch zur Mehrung des Wohlstandes beigetragen. Auf dieser Grundlage waren die Deutschen - schweren Herzens - bereit, im Zuge der Wiedervereinigung die stabile D-Mark gegen den Euro einzutauschen.

Der Tausch war von Seiten der Politik mit dem Versprechen verbunden, dass der Euro aufgrund vereinbarter Regeln ebenso stabil wie die D-Mark sein werde. Diese Regeln sahen vor, dass die europäischen Staaten Haushaltsdisziplin zu wahren hatten und jeder Staat für seine Schulden selbst verantwortlich war. Wir wissen, dass europaweit keine Haushaltsdisziplin geübt wurde. Nahezu alle Staaten haben über ihre Verhältnisse gelebt, ohne dass es Sanktionen gegeben hat. Die Schulden einiger Staaten sind inzwischen so hoch, dass sie zahlungsunfähig sind.  

Aus diesem Grund haben die Euro-Staaten einen Rettungsschirm beschlossen, durch den das bisherige Regelwerk, das der Stabilität des Euro dienen sollte, komplett abgeschafft worden ist. Europa ist damit faktisch eine Haftungs- und Transfer-Union geworden, in der jeder für die Schulden des anderen einzustehen hat.

Für den europäischen Einigungsprozess liegt darin eine gewaltige Sprengkraft. Denn man kann nicht davon ausgehen, dass solide Länder auf Dauer für die Schulden unsolider Staaten eintreten werden. Zudem ist die Geschäftsgrundlage für die Aufgabe der D-Mark komplett entfallen.

IV

Um den äußeren und inneren Frieden zu wahren, stehen Politik und Gesellschaft vor großen Herausforderungen. Arnold Toynbee hat einmal gesagt, dass eine Kultur ihren Höhepunkt überschritten hat, wenn sie auf die Herausforderungen nicht mehr schöpferisch antworten kann. Eine schöpferische Antwort besteht nicht darin, den status quo zu erhalten oder alles umzustürzen. Schöpferisch meint, den Fortschritt aus dem Bewährten heraus klug zu gestalten. Ohne Neugier auf Neues geht es dabei nicht.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


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