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Ehrenschutz in den sozialen Medien?
12.03.2020 23:41 (1214 x gelesen)

Ehrenschutz in den sozialen Medien?

Die sozialen Medien sind ein digitales Medium, das den Nutzern faktisch keine Grenzen setzt: Mitbürger können straflos beleidigt und verleumdet werden! Die Richtigkeit von behaupteten Fakten bleibt ungeprüft! Politiker werden verunglimpft und bedroht! Hass und Neid gegen ganze Bevölkerungsgruppen werden unkontrolliert verbreitet.

Den Nutzern steht dabei nahezu kostenlos eine Vielzahl von Möglichkeiten zur Verfügung: Sie können eigene Inhalte senden, sie können aber auch fremde Inhalte kommentieren und beliebig weiterleiten (teilen). Was früher in kleinen Gruppen diskutiert wurde, erreicht heutzutage über Facebook, Twitter oder Instagram Tausende von Nutzern. Facebook allein wird täglich von mehr als eine Milliarden Menschen genutzt.

Die sozialen Medien wachsen und gedeihen durch die „Anonymität des Internets“, die enthemmt und vieles möglich macht. Die Masse an  Persönlichkeitsverletzungen oder Erscheinungen wie Shitstorm oder Cybermobbing sind anders nicht zu erklären. Politiker, Unternehmen und Privatpersonen sind davon gleichermaßen betroffen.

Nun würde man denken, dass der Gesetzgeber oder die Gerichte alles tun, um den Betroffenen den erforderlichen Ehrenschutz zu gewähren. Leider ist das Gegenteil der Fall: Denn das Bundesverfassungsgericht hat mit seiner Rechtsprechung  zur Meinungsfreiheit solchem Treiben in den sozialen Medien Tür und Tor geöffnet. Einen wirksamen Ehrenschutz gibt es dort nicht mehr. 

Lüth-Urteil von 1958

Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Verhältnis von Meinungsfreiheit und Ehrenschutz ist nahezu so alt wie die Bundesrepublik. In dem sog. Lüth-Urteil vom 15.01.1958 hat das Gericht entschieden, dass die Grundrechte des Grundgesetzes nicht nur Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat sind, sondern auch eine objektive Wertordnung, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechtes gilt. Zu entscheiden hatte das Verfassungsgericht über den Aufruf des Hamburger Pressesprechers Lüth, einen Film von Veit Harlan zu boykottieren, was ihm durch das Hamburger Landgericht verboten worden war.

Das Bundesverfassungsgericht hob die  landgerichtliche Entscheidung  mit folgender Begründung auf: Die allgemeinen Gesetze müssen im Lichte der besonderen Bedeutung des Grundrechts der freien Meinungsäußerung für die freiheitliche demokratische Grundordnung ausgelegt werden. Das Grundrecht der freien Meinungsäußerung ist für eine freiheitlich-demokratische Staatsordnung schlechthin konstituierend, denn es ermöglicht erst die ständige geistige Auseinandersetzung, den Kampf der Meinungen, der ihr Lebenselement ist. Der Ehrenschutz muss also zurücktreten, wenn es das Grundrecht der freien Meinungsäußerung fordert.

Auf dieser Grundlage beruht auch heute noch die Reichweite und Wirkkraft des Grundrechts der freien Meinungsäußerung auf den Gebieten des Strafrechts und des bürgerlichen Rechts.

Danach ist es die Aufgabe der ordentlichen Gerichte, die gesetzlichen Bestimmungen auszulegen und anzuwenden. Bei ihrer Entscheidung haben sie jedoch dem Einfluss der Grundrechte auf die Vorschriften des Zivil- und Strafrechts Rechnung zu tragen. Dem Bundesverfassungsgericht obliegt es dann zu prüfen, ob die ordentlichen Gerichte bei ihren Entscheidungen die Bedeutung und Tragweite eines Grundrechts erkannt haben.

Handelt es sich um das Grundrecht der Meinungsfreiheit, umfasst die Prüfung auch die Bedeutung und Würdigung der strittigen Äußerung, insbesondere die Frage, ob es sich dabei um ein Werturteil oder um eine Tatsachenbehauptung handelt oder ob die beanstandete Äußerung tatsächlich den unterstellten Sinn hat und ob andere Deutungen auszuschließen sind. Vor allem dieser Teil der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist auf  Unverständnis gestoßen, wie das folgende Beispiel zeigt.

„Soldaten sind Mörder“-Urteil

In diesem Fall hatte das Bundesverfassungsgericht über strafrechtliche Verurteilungen wegen Beleidigung der Bundeswehr und einzelner Soldaten durch die Äußerung „Soldaten sind Mörder“ zu entscheiden. Das Gericht hob sämtliche Strafurteile auf.

Nach seiner Meinung genießt diese Äußerung den Schutz des Art. 5 GG, also das Recht auf Meinungsfreiheit. In der Begründung  stellt das Verfassungsgericht fest, dass es sich bei den gemachten Äußerungen nicht um eine Tatsachenbehauptung, sondern um ein Werturteil handelte, das unabhängig von seinem beleidigenden Gehalt auch eine politische Aussage (Friedensbewegung) enthält. In dieser Deutung genießt die Äußerung den Schutz des Art. 5 I GG.

Widerspruch kam schon aus dem Kreis der urteilenden Richter.  Richterin Haas schrieb in einem Sondervotum: „Eine Rechtsordnung, die junge Männer zum Waffendienst verpflichtet und von ihnen Gehorsam verlangt, muss denjenigen, die diesen Pflichten genügen, Schutz gewähren, wenn sie wegen dieses Soldatendienstes geschmäht und öffentlich als Mörder bezeichnet werden.“

Das Landgericht Mainz musste die Angeklagten aufgrund des  Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts freisprechen. Laut FAZ vom 04.01.1996 bezeichnete der Vorsitzende Richter Fischer diese Entscheidung als „anmaßend, juristisch fragwürdig und gesellschaftspolitisch falsch“. Er entschuldigte sich bei den Bundeswehrangehörigen ausdrücklich für den Freispruch, zu dem das Bundesverfassungsgericht ihn gezwungen hatte.

Kriele kommentierte die Entscheidung des Bundesverfassungsgericht in der NJW 1994, 1897 ff folgendermaßen: Von einem Ehrenschutzprozess können Anwälte nur noch abraten: Der erste Senat des Bundesverfassungsgerichts lässt den Ehrenschutz ganz weitgehend hinter die Meinungs- und Pressefreiheit zurücktreten und zwingt die Instanzgerichte, ihm darin zu folgen.

Fazit:

Angesichts der zunehmenden Persönlichkeitsverletzungen in den sozialen Medien besteht dringender Handlungsbedarf. Wer von der Politik Besserung erwartet, unterschätzt den Einfluss dieser Medien. Das Bundesverfassungsgericht sollte jedoch seine mehr als sechzig Jahre alte Rechtsprechung zum  Verhältnis von Ehrenschutz und Meinungsfreiheit einer kritischen Revision unterziehen. Die damals entwickelten Grundsätze stammen aus einer Zeit, als es die sozialen Medien noch garnicht gab.


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