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Der Weg in die europäische Schuldenunion
02.07.2020 19:28 (955 x gelesen)

Der Weg in die europäische Schuldenunion

Vor dem Start der deutschen EU-Ratspräsidentschaft am 1. Juli mehren sich die Stimmen, die Bundeskanzlerin Angela Merkel vor dem Umbau der EU in eine Schuldenunion warnen.  Aktueller Anlass ist der Merkel-Macron-Plan, wonach den von der Corona-Pandemie besonders betroffenen Regionen der EU mit einem „schuldenfinanzierten Wiederaufbaufonds“ in Höhe von 500 Milliarden Euro geholfen werden soll.

Mit diesem Plan  hat die Bundeskanzlerin erneut eine überraschende und  grundsätzliche Kehrtwende in der deutschen Europapolitik verkündet. Jahrzehntelang wehrte sich die Bundesregierung dagegen, dass sich die EU als Gemeinschaft verschuldet. Die Warnung vor einer „Schuldenunion“ fehlte auf keinem Parteitag der CDU. Doch jetzt will die Bundeskanzlerin während ihrer EU-Ratspräsidentschaft, die am 1. Juli 2020 beginnt, den Wiederaufbaufonds mit Schulden finanzieren.

Der geplante EU-Wiederaufbaufonds, den die EU-Kommission inzwischen auf 750 Milliarden Euro aufgestockt hat, soll in den von der Corona-Pandemie besonders betroffenen Regionen dafür sorgen, dass die Wirtschaft wieder in Gang kommt. Die dazu benötigten Mittel will sich die EU durch langfristige Anleihen auf den Kapitalmärkten besorgen. Begünstigt sind vor allem die südeuropäischen Länder, denen mit nicht rückzahlbaren Zuschüssen (2/3 der Mittel = 500 Milliarden Euro) und mit Krediten (1/3 der Mittel = 250 Milliarden Euro) geholfen werden soll. Strenge Auflagen für die Verwendung der Mittel sieht der Plan nicht vor. Die Rückzahlung der Kapitalmarktschulden soll nach Vorstellung der Kommission vornehmlich aus zukünftigen Steuereinnahmen der EU erfolgen (Digitalsteuer, Mindeststeuer für Unternehmen, Plastiksteuer, CO2-Grenzausgleich).
 
Der EU-Wiederaufbaufonds ist die Erfindung des französischen Finanzministers Bruno Le Maire, der dafür die deutsche Bundeskanzlerin über alle Maßen lobt: „Angela Merkel hat Mut bewiesen und ein Gefühl dafür, dass die Zeit reif war für eine Entscheidung mit historischer Tragweite, und dafür habe ich nur Lob. Es war mutig von der Kanzlerin, gemeinsame europäische Schulden zu akzeptieren. Sie hat dadurch einen Durchbruch möglich gemacht bei den Diskussionen vor der Präsentation der Vorschläge der EU-Kommission für einen Wiederaufbauplan.“

Die „sparsamen Vier“

Der von den Franzosen propagierte Wiederaufbauplan ist nicht überall positiv aufgenommen worden. Widerspruch gibt es vor allem von den Regierungen in Österreich, den Niederlanden, Dänemark und Schweden, den sogenannten „sparsamen Vier“. Laut „Handelsblatt“ haben sie folgende Bedenken:

• Volumen: Ein Paket von insgesamt 750 Milliarden Euro ist den „sparsamen Vier“ zu groß. Deutschland und Frankreich hatten einen Wiederaufbaufonds von 500 Milliarden Euro angeregt – also ein Drittel weniger als die Kommission. Dagegen könnten sich manche Südeuropäer vorstellen, den Aufbauplan noch großzügiger zu bemessen, als von der Kommission vorgeschlagen.
• Transfers versus Darlehen: Die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, will zwei Drittel des Gesamtvolumens als Transfers an Mitgliedstaaten weiterleiten und ein Drittel als rückzahlbare Darlehen. Die Niederlande und Österreich lehnen Transfers aus dem Wiederaufbaufonds kategorisch ab, und die skandinavischen EU-Staaten wollen das Verhältnis zwischen Transfers und Darlehen zumindest umkehren. Frankreich und die Südeuropäer wiederum bestehen auf nicht rückzahlbaren Zuwendungen und wollen den Anteil der Darlehen möglichst knapp halten.
• Finanzierung: Die EU-Kommission will sich das benötigte Geld für den Wiederaufbau mit Hilfe von EU-Anleihen an den Finanzmärkten besorgen. Für die Tilgung der Schulden möchte sich die Kommission dreißig Jahre lang Zeit nehmen – von 2028 bis 2058. Mehreren EU-Staaten, darunter Deutschland und Finnland, dauert das zu lange. Bereits während der jetzt beginnenden Finanzperiode (2021 bis 2027) soll mit der Rückzahlung begonnen werden. Frankreich, Italien und Spanien haben jedoch an einer schnellen Rückzahlung kein Interesse.
• Zeitplan: Die EU-Kommission will den größten Teil der Wiederaufbauhilfen in den Jahren 2023 und 2024 auszahlen. Das sei viel zu spät, meint die Mehrheit der Mitgliedstaaten. Die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie müssten jetzt bewältigt werden, nicht erst in zwei oder drei Jahren. Deshalb müsse das Geld aus Brüssel auch schneller fließen.
• Konditionalität: Besonders umstritten ist die Frage, ob und welche Bedingungen die Empfängerländer erfüllen müssen. Am besten gar keine, meint Italien. Die Regierung in Rom verbittet sich jegliche Einmischung der EU in ihre Wirtschaftspolitik. Dagegen pochen die Niederlande darauf, dass es harte wirtschaftspolitische Auflagen gibt. Länder wie Italien dürften das Geld aus Brüssel nur dann bekommen, wenn sie verschleppte Strukturreformen endlich in Angriff nehmen würden.
• Vergabekriterien: Die EU-Kommission will bei der Verteilung ihres Milliardenfonds unter den Mitgliedstaaten nach drei Kriterien vorgehen: dem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts insgesamt und pro Kopf sowie dem Anstieg der Arbeitslosigkeit infolge der Coronakrise. Demnach profitieren Italien, Spanien, Griechenland und Polen überdurchschnittlich von dem Aufbaufonds. Ebenfalls Polen und Griechenland, die von der Pandemie zwar nur wenig betroffen sind, aber unter hoher Arbeitslosigkeit leiden. Für Belgien gilt das nicht, obwohl das Land besonders viele Corona-Tote zu beklagen hat. Auch Irland, Ungarn, Tschechien und Litauen fühlen sich benachteiligt.
• Solvenzhilfe: Die EU-Kommission will unter anderem Unternehmen in EU-Ländern helfen, die keinen eigenen finanziellen Spielraum für milliardenschwere Hilfsprogramme für die Wirtschaft haben, wie sie sich Deutschland gerade leistet. Die Bundesregierung befürchtet jedoch, dass solche Hilfen missbraucht werden, um unrentable Unternehmen, z.B. Stahlwerke und defizitäre Luftfahrtunternehmen,  künstlich am Leben zu erhalten. 
• Rechtsstaatlichkeit: Die EU-Kommission will Hilfen aus dem Wiederaufbaufonds streichen, wenn das Empfängerland dauerhaft gegen rechtsstaatliche Prinzipien der EU verstößt. Die westeuropäischen Mitgliedstaaten unterstützen das, doch die Osteuropäer sind strikt dagegen.

Es sind also noch viele Hürden zu überwinden, bevor der Wiederaufbauplan beschlossen und umgesetzt werden kann.


Der Wirtschaftsrat der CDU e.V.

Auch im deutschen Mittelstand rumort es gewaltig: „Merkel ist aus Rücksicht auf Frankreich und die südeuropäischen Länder in das Lager der Transfergeldbefürworter gewechselt und hat die bisher vorwiegend auf  Marktwirtschaft und Eigenverantwortung basierende Europapolitik der Unionspartei bedauerlicherweise verworfen“, rügt Reinhold von Eben-Worlée,  der Präsident des Verbandes der Familienunternehmer. Von der deutschen EU-Ratspräsidentschaft  befürchtet er, dass Angela Merkel diesen Paradigmenwechsel weiter vorantreiben wird. „Die leidvolle Erfahrung lehre, dass es in der europäischen Ausgabenpolitik keinesfalls bei einmaligen, Corona-bedingten Zuschüssen bleibt“, sagt Eben-Worlée.

Der Wirtschaftsrat der CDU e.V. gehört ebenfalls zu den Kritikern des Merkel-Macron-Planes:  „Deutschland müsste mit seiner grundsätzlichen wirtschafts- und finanzpolitischen Grundorientierung eigentlich auf Seiten der „sparsamen Vier“ stehen“, sagte der Generalsekretär des CDU-Wirtschaftsrates, Wolfgang Steiger.

Bei der Vorstellung eines Positionspapiers kritisierte der Wirtschaftsrat:

• Von der EU-Kommission wird die  Tatsache komplett ausgeblendet, dass die  bisherigen EU-Programme zur Förderung des Wirtschaftswachstums (die Lissabon-Strategie, das Konjunkturprogramm EERP von 2009, der Juncker-Fonds) allesamt nicht die erhofften Ergebnisse brachten.
• Der Wiederaufbaufonds soll laut EU-Kommission den von der Pandemie stark getroffenen Ländern helfen. Dazu steht jedoch in Widerspruch, dass die Verteilung der Mittel nach den Wirtschafts- und Arbeitslosendaten der letzten fünf Jahre erfolgen wird. 
• Statt immer größere Geldsummen ins Schaufenster zu stellen, braucht Europa ein Konzept mit konkreten Innovationsprojekten, wie etwa dem Ausbau der Verkehrs- und Kommunikationsinfrastruktur und der Stärkung des Binnenmarktes für mehr Wachstum.
• Der Wiederaufbaufonds sollte den begünstigten Ländern statt staatlicher Zuschüsse rückzahlbare Kredite geben, um  die Wettbewerbsfähigkeit und Eigenverantwortung zu fördern, wie von den ‚sparsamen Vier‘ vorgeschlagen wird.
• Die Kredite und gegebenenfalls auch Beihilfen müssen zeitlich begrenzt ausfallen, an Reformbedingungen geknüpft sein und die Betroffenheit der EU-Staaten sowie ihre Wirtschaftskraft berücksichtigen.
• Die bislang nicht erkennbare Kontrolle der Ausgaben lässt befürchten, dass der Wiederaufbaufonds nicht die versprochenen Zukunftsinvestitionen liefern, sondern von den Begünstigten für andere  Zwecke (z.B. den nationalen Haushalt) verwendet wird.


Das Verbot der Schuldenfinanzierung

In Artikel 310 des EU-Vertrages ist geregelt, dass „der Haushaltsplan in Einnahmen und Ausgaben auszugleichen ist“. Zu den Einnahmen der EU gehören die nationalen Beiträge der Mitgliedsländer und in geringem Umfang Eigenmittel, nicht aber  Kredite oder Anleihen. Damit ist es der Europäischen Union grundsätzlich verboten, ihre Ausgaben über Kredite oder Anleihen, wie z.B. Euro-Bonds, zu finanzieren.

Daniel Caspary, Vorsitzender der CDU/CSU-Gruppe im Europäischen Parlament, vertritt demgegenüber in einem Gastbeitrag in der Tageszeitung DIE WELT vom 26. Juni 2020 den Standpunkt, dass gemeinsame EU-Schulden eine lange Tradition haben und gemeinschaftlich begebene Schuldtitel seit Jahrzehnten fester Bestandteil des gemeinsamen europäischen Instrumentariums sind. Dafür führt er die 1971 geschaffene „Meditum-Term Financial Assistance Facility“ (MTFA) an, die es ermöglichte, EU-Mitgliedstaaten Finanzhilfen in Form von zwischenstaatlichen Krediten zu gewähren, die mit strengen Auflagen verbunden waren, Außerdem bezieht er sich auf den „Community Loan Mechanism“ (CLM), mit dem erstmals gemeinschaftlich garantierte Schuldtitel begeben wurden. Darin garantierten die EU- Mitglieder durch festgelegte Quoten den Schuldendienst, wenn beteiligte Mitgliedstaaten den Verpflichtungen gegenüber der Gemeinschaft nicht nachkommen konnten. 

Daniel Caspary begründet seinen Standpunkt mit praktischen Beispielen, nennt aber keine Rechtsgrundlage, aus der sich die Zulässigkeit solcher Ausgabenfinanzierungen ergibt. Die EU-Kommission glaubt, eine Rechtsgrundlage gefunden zu haben, um das Verschuldungsverbot für die EU umgehen zu können. Sie beruft sich dazu auf Vorschriften des EU-Vertrages, wonach die Mitgliedstaaten oder der EU-Rat die Gemeinschaft mit den erforderlichen Befugnissen und Mitteln auszustatten haben, wenn „ein Tätigwerden der Union erforderlich erscheint, um eines der Vertragsziele zu erreichen (so Artikel 352).

Ob dies ausreicht, ist jedoch äußerst zweifelhaft. Denn in Artikel 310 des EU-Vertrages ist unmissverständlich geregelt, dass „der Haushalt der EU in Einnahmen und Ausgaben auszugleichen ist“, also Schulden zur Finanzierung der Ausgaben nicht gemacht werden dürfen. Gegebenenfalls wird der Europäische Gerichtshof  bzw. das Bundesverfassungsgericht diese Frage unter dem Gesichtspunkt „ultra vires“ klären müssen.

Welchen Stellenwert das Verbot der Schuldenfinanzierung im Kontext des EU-Vertrages hat, zeigt sich beispielhaft an der Konstruktion des schuldenfinanzierten Rettungsschirms ESM.  Um das  Verschuldungsverbot der EU formal zu umgehen, wurde der ESM durch einen separaten völkerrechtlichen  Vertrag der Euroländer als eine „internationale Finanzinstitution“ mit Sitz in Luxemburg gegründet, Das wäre nicht nötig gewesen, wenn die EU-Kommission zur Aufnahme von Schulden auf Grund anderer Vorschriften in der EU-Verträgen ermächtigt wäre.


Die Probleme des aktuellen Haushalts 

EU-Haushaltskommissar Johannes Hahn hat einen EU-Haushaltsentwurf  2021 erarbeitet, der Ausgaben in Höhe von 167 Milliarden Euro vorsieht, bei dem aber noch nicht geklärt ist, ob die Mitgliedsländer der Kommission dafür das benötigte Geld überweisen werden. Infolge des Brexit fehlt ein wichtiger Beitragszahler, nämlich Groß Britannien. 

Die  EU-Kommission hat gleichzeitig einen Vorschlag für den sogenannten mehrjährigen Finanzrahmen 2021 bis 2027 (MFR) gemacht, der rund 1,1 Billionen Euro schwer werden soll. Auch hierauf  haben sich die Mitgliedstaaten bis heute nicht geeinigt.

Zusammen mit dem MFR wollen die Mitgliedstaaten auch über das EU-Konjunkturprogramm von rund 750 Milliarden Euro entscheiden. Davon sollen 344 Milliarden bereits 2021 ausgegeben werden, nämlich 211 Milliarden als Zuschüsse und 133 als Kredit. Auch zu diesem Teil des EU-Haushalts gibt es noch keine Verständigung zwischen den Mitgliedstaaten.

Die EU-Kommission und die am 1. Juli 2020 beginnende  deutsche Ratspräsidentschaft stehen damit vor einer gewaltigen Herausforderung: 27 Mitgliedstaaten müssen sich über den EU-Haushalt 2021 (167 Milliarden Euro) einigen, gleichzeitig sind das Konjunkturprogramm (750 Milliarden Euro) und der mehrjährige Finanzrahmen MFR (1,1 Billion Euro) zu verabschieden. Darüber hinaus muss die EU-Kommission in die Lage versetzt werden, mit den bewilligten Mitteln bestimmungs- und ordnungsgemäß umzugehen.

Stimmen aus dem Europäischen Parlament halten dies für einen riskanten Balanceakt. „Ich verstehe nicht, wie die Kommission mit weniger Personal so viel mehr Geld ausgeben und eine ordnungsgemäße zielgerichtete Verwendung kontrollieren soll. Das macht mir große Sorgen“, sagt Monika Hohlmeier (CSU). Die CSU-Politikerin ist Vorsitzende des Haushaltskontrollausschusses. „Es kann auf keinen Fall sein, dass die Kommission die zielgerichtete Verteilung des Geldes allein den Mitgliedstaaten überlässt. In bestimmten Mitgliedstaaten besteht nämlich die Gefahr, dass das Geld an Oligarchen und in die organisierte Kriminalität fließt.“


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