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Europäische Krisen : Verteidigungsfähige Bundeswehr ?
09.11.2025 22:03 (52 x gelesen)

Verteidigungsfähige Bundeswehr?

Bedrohliche Sicherheitslage

Drei Jahre nach der russischen Invasion in die Ukraine lässt Deutschlands militärische und industrielle Mobilisierung immer noch auf sich warten. 

Dafür gibt es viele Anzeichen: Der Rüstungshersteller Rheinmetall arbeitet noch immer mit nur einer Schicht pro Tag und einer Fünf -Tage -Woche statt im Drei-Schicht-Betrieb an sieben Tagen pro Woche. Die derzeitige Produktion von Taurus-Raketen liegt bei nur wenigen Raketen pro Monat. Nicht viel besser sieht es bei dem Luftverteidigungssystem IRIS-T aus, das Lücken bei der europäischen Luftverteidigung schließen soll. 

Deutschland verlässt sich bei seiner Verteidigung gegenüber Russland weitestgehend auf die Ukraine, die es mit Material aus Beständen der Bundeswehr unterstützt (zum Beispiel mit 57 Flakpanzern und Munition). Außerdem beteiligt sich Deutschland als Mitglied der EU an zahlreichen Sanktionen gegen Russland, um das Land unter Druck zu setzen. 

Einen wesentlichen Grund für diese zögerliche Aufrüstung sehen Fachleute darin, dass es der Bundesregierung bis heute nicht gelungen ist, nach der russischen Invasion in die Ukraine für Deutschland eine „operationale Sicherheitsstrategie“ zu entwickeln. Die sogenannte „Zeitwende“ hat nicht ausgereicht, um Politik und Gesellschaft davon zu überzeugen, dass Kriege wieder möglich sind. 

Nachdem jedoch in Deutschland am Himmel immer mehr Drohnen auftauchen, bei denen vermutet wird, dass sie russischen Ursprungs sind, ist Berlin plötzlich aufgewacht. Bundeskanzler Friedrich Merz ermahnte jüngst die Bundeswehrführung während einer Bundeswehrtagung per Videobotschaft: „Frieden in Europa ist keine Selbstverständlichkeit mehr, die Bedrohung durch Russland ist real.“ Es gebe „Hybride Angriffe jeden Tag“. Deutschland müsse „schnellstmöglich verteidigungsfähig werden.“ 

Verteidigungsminister Boris Pistorius will Militär, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft nun rasch auf eine mögliche russische Aggression vorbereiten. „Es ist kein Alarmismus, wenn ich sage: Unsere Art zu leben, ist in Gefahr“, sagte er auf der Bundeswehrtagung in Berlin. Europa stehe „im Schatten eines Krieges“. Die Ukraine befinde sich seit über 1300 Tagen im Kampf um ihr Überleben. Hybride Angriffe gingen aber „weit über die Ukraine hinaus“. Sie seien „Vorboten dessen, was komme“. Moskau rüste sich für weitere Kriege, „es wird nicht davon ablassen, Grenzen mit Gewalt zu verschieben“. 

Auch die Spitzen der Bundeswehr zeichnen ein bedrohliches Bild von den aggressiven Kriegsvorbereitungen Russlands und von der bereits akuten Bedrohung für die Sicherheit Deutschlands und Europas. Generalinspektor Carsten Breuer beschrieb auf der Bundeswehrtagung das Ziel, das allen Verteidigungsanstrengungen zugrunde liegen muss: „Russland darf niemals annehmen, dass es einen Krieg mit der NATO gewinnen kann.“ 

Unzureichende Wehrbereitschaft

Die Kritik an der schleppenden Aufrüstung der Bundeswehr hat berechtigte Gründe: 

Die Bundeswehr setzt weiterhin stark auf traditionelle bemannte Systeme (Panzer, Flugzeuge, Schiffe). Die Planung für unbemannte Verteidigungssysteme (Raketen, Drohnen) hinkt hinterher. Die Aufrüstung „German style“ geschieht deshalb noch weitgehend in Handarbeit, nicht in industriell skalierter Massenproduktion.

Demgegenüber hat Russland seine Produktionskapazitäten für autonome Systeme (Raketen, Drohnen) seit 2022 immer schneller ausgebaut. Bei manchen Waffengattungen entspricht die russische Produktion während eines Quartals mittlerweile dem gesamten Bestand der Bundeswehr. 

Viele Militärexperten sind sich sicher, dass kriegerische Auseinandersetzungen zukünftig in erster Linie durch autonome Systeme geprägt sein werden. Der Krieg in der Ukraine hat sich bereits zum Drohnenkrieg entwickelt. Russische Angriffe auf ukrainische Städte und Anlagen werden oft mit Hunderten Drohnen in einer einzigen Nacht geflogen. Auf ukrainischer Seite kommen dagegen nicht genügend Abfangdrohnen zum Einsatz. Für dieses Jahr plant die Ukraine die Herstellung von fünf Millionen Drohnen, für das nächste Jahr sollen es zehn Millionen sein. Die Bundeswehr verfügt demgegenüber über nicht mehr als 600 Drohnen.  

Deutschland hat noch nicht einmal damit begonnen, die für einen solchen modernen Krieg notwendigen Produktionskapazitäten zu schaffen. Die Kritik daran weist Verteidigungsmister Pistorius zurück: „Die Mischung macht´s. Wir brauchen weiterhin Großgerät wie Panzer, Schiffe und Flugzeuge. Aber genauso natürlich viel mehr innovative Technik, die uns auf dem Gefechtsfeld der Zukunft bestehen lassen.“

Die Versäumnisse bei der Produktion von unbemannten Flugkörpern gefährden nicht nur die Verteidigungsfähigkeit der Bundeswehr, sondern haben schon heute gravierende Folgen für die Ukraine. Denn die Vereinigten Staaten haben sich faktisch aus der finanziellen und militärischen Hilfe für Kiew zurückgezogen. Der Krieg in der Ukraine ist schon jetzt Europas Krieg, und sein Ausgang wird entscheidend von dem militärischen Potential Deutschlands abhängen. Denn im europäischen Kontext verfügt nur Deutschland über die fiskalischen und industriellen Möglichkeiten, um Europas Verteidigung zu organisieren. 

Elemente einer Sicherheitsstrategie

Die Bundeswehr steht heute vor dramatischen Herausforderungen. Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine sowie die hybriden Attacken auf Deutschland und NATO-Verbündete zeigen nicht nur die Bedrohung auf. Sie demonstrieren auch, wie Kriege heute geführt werden und welche Rolle die Kriegswirtschaft dabei spielt. 

Im Verteidigungsministerium und in der Bundeswehr wird intensiv über das Kriegsbild der Zukunft diskutiert. Zentraler Punkt ist dabei der Einsatz unbemannter Systeme, insbesondere von Drohnen und Raketen, deren Einsatz den Krieg an Land, auf See und in der Luft grundlegend verändern wird. Dabei stellt sich auch die kritische Frage, ob bemannte Flugzeuge, Panzer und Schiffe in Zukunft noch gebraucht werden, oder ob sie nur noch bewegliche Ziele (für Raketen und Drohnen) sein werden.  

Ein weiteres Problem kommt hinzu: Die autonomen Angriffs- und Verteidigungssysteme werden ständig weiterentwickelt und können schon in wenigen Monaten überholt oder unwirksam sein. Bundeswehr und Industrie müssen deshalb zusätzlich die Voraussetzungen dafür schaffen, dass erfolgversprechende Militärtechniken rechtzeitig identifiziert, getestet und in großen Stückzahlen angeschafft werden.  

Die Wissenschaftler Niall Ferguson und Moritz Schularick haben dazu in der FAZ vom 3. November 2025 einen aus vier Teilen bestehenden Vorschlag gemacht, der die beschriebenen Probleme lösen soll: 

1.    Deutschland muss von der derzeitigen Manufaktur-Produktion zu einer industriellen Fertigung übergehen. Ziel der dafür erforderlichen privaten Investitionen muss es sein, die produzierten Stückzahlen zu erhöhen und die Stückkosten zu senken.

Notwendig dafür ist eine enge Kooperation zwischen militärischer Planung und Industriepolitik sowie zwischen Rüstungsindustrie und ziviler Produktion. Dafür bedarf es der Koordination, weil der Markt dies kurzfristig nicht leisten kann. Dies zeigen historische Beispiele gezeigt, wie zum Beispiel die Kriegsrohstoffabteilung im 1. Weltkrieg unter der Leitung des Industriellen Walther Rathenau. 

2.    Das Bundesministerium für Verteidigung muss die Produktionskapazitäten für den Konfliktfall realistisch planen und entsprechende Liefer- und Kapazitätsverträge mit der Industrie schließen. Ansonsten haben private Unternehmen keinen Anreiz, in Produktionskapazitäten zu investieren, die jahrelang ungenutzt bleiben könnten. 

Zu diesem Zweck muss die Regierung Antworten auf bisher offene Fragen geben: Wie viele Drohnen und Weltraumraumraketen, welche Anzahl militärischer Fahrzeuge etc. werden bis wann benötigt, um die Bundeswehr verteidigungsfähig zu machen. Denn eine glaubwürdige Abschreckung umfasst schließlich nicht nur einmalig gefüllte Lager bei der Bundeswehr, sondern auch die industrielle Fähigkeit, die Produktion im Konfliktfall schnell zu steigern. 

3.    In der Ukraine zeigt sich, dass traditionell bemannte und teure Systeme wie der Leopard-2-Panzer durch Drohnen im Wert von ein paar Zehntausend Euro ausgeschaltet werden können. Die Bundesregierung sollte bei der Planung und Beschaffung der benötigten Waffen beherzigen, dass kriegerische Auseinandersetzungen zukünftig immer stärker durch autonome Hightech-Waffen entschieden werden. 

Dies bedeutet für die militärische Planung und Beschaffung, vor allem Hightech-Investitionen voranzubringen, die auch für den zivilen Sektor von Nutzen sind. Berlin könnte zum Beispiel Daimler Trucks oder MAN damit beauftragen, den autonom fahrenden Militärlastwagen der Zukunft zu entwickeln. 

4.    Deutschland und die übrigen NATO-Staaten in Europa müssen in kürzester Zeit in die Lage sein, einen russischen Aggressor durch eigene Stärke abzuschrecken. Dazu gehört auch eine gezielte Strategie, wie die  amerikanischen Fähigkeiten in Bereichen wie Lufttransport, Kommunikation und Aufklärung notfalls ersetzt werden können. 

Bisher basieren die Verteidigungspläne Deutschlands auf der Annahme, dass die militärische Unterstützung durch die USA innerhalb der NATO weiterhin zuverlässig und verfügbar bleibt, auch im Konfliktfall mit Russland. Unabhängig davon, dass das weitere Engagement von Donald Trump für die NATO nicht sicher ist, bleiben Deutschland und Europa in der Abhängigkeit der USA, die jederzeit auch als Druckmittel in anderen Bereichen wie der Handels- und Zollpolitik eingesetzt werden kann.

Hemmnisse in der Umsetzung

Für eine solche Strategie braucht die Bundeswehr „innovatives Denken, eine positive Fehlerkultur, planerische Freiheit und vor allem Entscheidungsfreude auf jeder Ebene“ (Sönke Neitzel in FAZ vom 29 Sept. 2025).

Aber was ist die Realität? 

Die Beschaffung von Drohnen durchläuft im Ministerium der Verteidigung einen seit Jahren eingespielten Planungs- und Beschaffungsprozess, dessen Erfolgsquote nur als mangelhaft beschrieben werden kann. Die Verantwortung in diesem Verfahren ist so breit gestreut, wie die Bundeswehr ministerielle Abteilungen und Ämter unterhält. 

Zuständig sind, oft im Doppel: Rüstungsabteilung und Beschaffungsamt, Planungsabteilung und Planungsamt, Einsatz- und Streitkräfteabteilung, Aufsichts- und Zulassungsbehörde. Dass auf diese Weise keine schnellen Ergebnisse erzielt werden können, ist allen Beteiligten klar. 

Diese Probleme der Bundeswehr sind hausgemacht. Statt schlagkräftige Kommandostrukturen aufzubauen, hat die Armee in 70 Jahren Friedenszeit vorwiegend Verwaltungsbehörden errichtet. Wo schlanke, auf ein militärisches Ergebnis gerichtete Prozesse erforderlich wären, hat sich die Bundeswehr in Bürokratie verrannt. 

Derzeit wird das Wehrressort in der Amtszeit von Pistorius zum zweiten Mal umgebaut – was den ohnehin überbürokratischen Informationsfluss zusätzlich hemmt. Seit Anfang Oktober 2025 müssen die Mitarbeiter im Ministerium der Verteidigung die neuen Bezeichnungen und Aufgaben von 262 Organisationseinheiten lernen; bis Januar 2026 soll dann die „Binnenoptimierung“ abgeschlossen sein. 

Die Bundeswehrtagung war für Pistorius eine gute Gelegenheit, sein in Teilen zweifelndes Haus hinter sich zu versammeln. Er sparte deshalb nicht mit Lob für das Erreichte und versprach, mit dem neuen Team sei man „auf dem Weg zu schlankeren, schnelleren, effektiveren Strukturen“.

Doch außerhalb der Leitungsebene erschließt sich der Sinn so mancher Kompetenzverlagerung nur wenigen. Während sich die Vertrauten von Pistorius über Beförderungen und neue Amtstitel freuen dürfen, tun sich manche Abteilungsleiter schwer, ihren Mitarbeitern die Reform mit der gewünschten Botschaft – „ein schlagkräftigeres Ministerium zu werden“ – zu vermitteln. 

Zweifel sind angebracht: Schon der Gesetzentwurf des Ministers zum neuen Wehrdienst trifft auf massive Vorbehalte in den Regierungsfraktionen des Bundestages. Vor allem misstrauen sie den Versicherungen von Pistorius, man werde die nötige Verdoppelung des militärischen Personals auf mindestens 460.000 Soldaten und Reservisten auf freiwilliger Basis schaffen (Thorsten Jungholt in WamS vom 9. Nov. 2025)

Außerdem wird die Bundeswehr von heute ohne einschneidende Reformen bis hinunter auf die taktische Ebene kaum abschrecken können. Diese Erkenntnis ist in den Streitkräften weit verbreitet. Aber bislang fehlt die politische Kraft, an diesem Zustand etwas zu ändern. Was ist also zu tun? 

Bundeskanzler Friedrich Merz hat der Generalität und den Spitzenbeamten auf der Bundeswehrtagung zugerufen: „Denken Sie außerhalb bisheriger Kategorien, entledigen Sie sich von zu langsamen und komplexen Arbeitsabläufen. Den Bedrohungen von heute können wir nicht mit den Verwaltungsvorschriften von gestern begegnen.“ Und er fügte hinzu: „Möglich machen lautet das Gebot der Stunde“ und „fördern Sie Mut, und treffen Sie selbst mutige Entscheidungen“.


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